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Cedars Hollow (German Edition)

Cedars Hollow (German Edition)

Titel: Cedars Hollow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Schaefer
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ich wagte es nicht, ihn anzuschauen. Es war nicht die Angst um mein Leben, die mich lähmte, sondern die um seines. Als ich es endlich schaffte, aufzus e hen, bemerkte ich die Fr a ge, die in Corvus’ Augen stand.
    „Jetzt verabscheust du mich, oder?“
    „Nein.“ Wie kam er bloß darauf? Meine Stimme klang schä r fer, als ich beabsichtigt hatte. „Das könnte ich gar nicht“, fügte ich sanfter hinzu.
    Corvus sah mich mit seinem undurchdringlichen Blick an. Ich hätte gerne gewusst, was er dachte.
    „Danke, dass du mir zugehört hast.“ Er zögerte. „Ich habe noch mit keinem Menschen darüber gesprochen.“
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich war ei n fach nur froh, dass er sich mir anvertraut hatte. Dass er diese fast une r trägliche Distanz überwunden hatte, die bisher zwischen uns g e herrscht hatte. Meine Neugierde war allerdings längst noch nicht gestillt.
    „Wann hast du entdeckt, dass du dich in einen Raben ve r wandeln kannst?“ Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie das funktioni e ren sollte.
    „Das war, als ich bereits in Cedars Hollow lebte. Ich weiß nicht, ob mein neuer Name diese Fähigkeit mit sich brachte, oder ob ich mich theoretisch auch schon früher hätte verwa n deln können. Jedenfalls entdeckte ich es auf ziemlich unspekt a kuläre Weise. Ich las gerade ein Gedicht von Edgar Allan Poe, als es passierte.“
    „Der Rabe?“ Ich kannte das Gedicht schon seit meiner Kindheit. Meine Mom hatte es mir häufig an Halloween vorg e lesen.
    Corvus sah mich überrascht an. „Ja, genau.“
    In seinen Augen fl a ckerte etwas auf, das ich bis jetzt noch nie bei ihm gesehen hatte. So etwas wie plötzliches Erkennen. Es erinnerte mich an den Blick, den alte Bekannte einander zuwerfen, wenn sie sich sehr lange nicht ges e hen haben und sich plötzlich irgendwo auf der Straße über den Weg laufen.
    „Beim ersten Mal war die Verwandlung ziemlich … ung e wohnt“, redete Corvus weiter und verzog dabei die Lippen, als bereitete allein der Gedanke daran ihm Unbehagen. „Ich wusste ja nicht, was mit mir passierte. Mein Körper schrumpfte, und das so schnell, dass meine Augen der Verwandlung gar nicht folgen konnten. Es war schmer z haft.“
    Ich hatte vermutet, dass es so war, aber es aus seinem Mund zu h ö ren, war etwas anderes. Erschrocken sah ich ihn an. „Ist es jedes Mal so?“
    „Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Aber die Schmerzen sind mit der Zeit nicht geringer gewo r den.“
    Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich bemerkte, dass ich meine Teetasse fest umklammert hielt und meine Fi n gerknöchel weiß hervortraten. Hastig lockerte ich meinen Griff.
    „Jetzt habe ich dich erschreckt“, sagte Corvus.
    Ich schüttelte den Kopf. „Mach dir bitte nicht so viele Sorgen um mich. Es geht mir gut. Ehrlich.“
    Ich hatte eher den Ei n druck, dass er derjenige war, mit dem etwas nicht stimmte. Meine Frage, ob es ihm nicht gut ginge, verneinte er jedoch, also beließ ich es dabei, denn ich befürchtete, dass er sich wieder von mir distanzieren würde, wenn ich weiterbohrte. Und das, so sonderbar es mir auch vorkam, wollte ich auf keinen Fall.
     
     
     

Distanz
     
    W ir beschlossen, dass ich die Nacht bei ihm in der Wohnung ve r bringen sollte. Ich legte mich in dem staubigen, winzigen Zimmer, in dem ich mich schon beim letzten Mal die meiste Zeit aufgehalten hatte, auf die Matratze, konnte aber lange nicht einschlafen. Als es mir endlich gelang, ergriffen mich wieder Albträume und diese unb e stimmte Angst. Ich irrte orientierung s los durch einen dunklen Wald, und es kam mir so vor, als folgte mir jemand. Doch jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, sah ich nichts weiter als Bäume und die Finste r nis, die zwischen ihren Stämmen lauerte. So wurde die Nacht lang und nicht besonders erholsam für mich.
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich, dass Corvus im Schneidersitz neben der Matratze auf dem Boden saß, den Rücken gegen die Zimmerwand gelehnt, die Augen geschlo s sen. Ich fragte mich, ob er die ganze Nacht in dieser Position verbracht hatte.
    „Guten Morgen“, sagte er leise.
    Er hielt die Augen noch immer geschlossen, und hätte ich nicht g e sehen, wie seine Lippen sich bewegt hatten, hätte ich vermutet, dass er schlief und ich mir die Worte nur eingebildet hatte.
    Ich betrachtete ihn neugierig. Er behielt seine Sitzposition bei, ohne sich ein einziges Mal zu rühren. Ich hatte ihn noch nie so entspannt gesehen. Sein

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