Cedars Hollow (German Edition)
Händen und Füßen, ging ich zurück ins Haus.
Nähe
A m nächsten Sonntag überredete Joanne mich zu einem Mädchen-Nachmittag. Sie hatte die Hoffnung, dass ich mich irgendwann wi e der erholen würde, immer noch nicht aufgeg e ben. Ich war ihr mehr als dankbar dafür, vermutete aber, dass es letztendlich nichts ändern würde.
Als ich bei Joanne ankam, stand sie am Herd und machte Pa s ta. Es rührte mich, dass sie sich um mich sorgte, aber ich hatte so meine Zweifel daran, ob die Pasta mir dabei helfen würde, meine chronische Appetitlosigkeit loszuwerden.
Während ich den Tisch deckte, plapperte sie beinahe ununterbr o chen, um mich aufzumuntern. Sie machte es mir dabei sehr leicht; mehr als ein Ja oder Nein an den passenden Stellen erwartete sie nicht.
Wir aßen schweigend, und die ganze Zeit über spürte ich J o annes Blick auf mir. Nach wenigen Bissen war mein ohnehin kaum vorha n dener Hunger schon wieder verflogen. Ich spürte, wie mir übel wu r de, und floh auf die Toilette. Als ich zurüc k kam, musterte Joanne mich ernst.
„Hazel“, sagte sie und legte ihre Gabel beiseite. „So kann das doch nicht weitergehen.“
„Ich weiß.“ Ich fragte mich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis ich aussah wie ein Skelett, über dessen Knochen sich nichts als dünne Haut spannte. Zwei Monate? Drei?
„Warst du mal beim Arzt?“
Ich schüttelte den Kopf. Ich hasste Ärzte, das wusste Joanne.
„Das solltest du wirklich machen“, meinte sie leise. Als ich sie a n schaute, sah ich Sorge in ihren Augen.
Ich nickte, wenn auch hauptsächlich, weil ich sie beruhigen wollte.
Wir räumten schweigend unser Geschirr weg und gingen dann in Joannes Zimmer. Ich stand die ganze Zeit über neben mir. Wir sahen uns einen Film an, und als er fertig war, begriff ich, dass ich übe r haupt nicht mitbekommen hatte, um was es gegangen war. So ging es mir im Prinzip die ganze Zeit über, aber erst jetzt wurde es mir richtig bewusst.
Joanne entging das natürlich nicht. Vor ihr konnte ich nichts ve r bergen. Als sie am Ende des Films den Fernseher ausschaltete, mu s terte sie mich niedergeschlagen.
„Möchtest du reden?“, fragte sie.
Und da brach alles aus mir heraus. Die Probleme mit Dad. Das G e fühl, mich nicht mehr zurechtzufinden, als wäre ich von aller Welt abgeschnitten. Die Tränen. Das Schweigen, das mich seit dem To d von Mom begleitete.
Joanne hörte mir zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbr e chen, und als ich schließlich eine Redepause einlegte, nahm sie mich in den Arm und strich mir beruhigend über den Rücken, während mir Tr ä nen über die Wangen liefen.
Zum ersten Mal seit Wochen hatte ich das Gefühl, nicht ganz so allein zu sein, wie ich die ganze Zeit über gedacht hatte.
Als ich am nächsten Morgen meine Augen öffnete, war es ungewöh n lich dunkel in meinem Zimmer. Ich blickte hinüber zum Fen s ter und sah, dass dicker Nebel alles Licht verschluckte. Es war mir nicht möglich, auch nur den Wipfel des Baumes neben dem Haus zu e r kennen.
Schlaftrunken stand ich auf, zog mich an und ging nach unten in die Küche. Im Stehen aß ich einige Bissen Toast und trank einen Schluck Saft, dann machte ich mich lustlos auf den Weg zur Schule.
Draußen raubte mir sofort eine undurchdringliche Nebe l wand die Sicht. Langsam arbeitete ich mich voran, und es gelang mir tatsäc h lich, zur Schule zu kommen, ohne mich zu ve r irren.
Joanne erwartete mich in der Aula, und wir machten uns z u sammen auf den Weg in die erste Stunde. Seit gestern hatte sich etwas zw i schen uns verändert. Ich merkte, dass ich jetzt keine Angst mehr vor ihrem Schweigen hatte, und ich spürte, dass es ihr umgekehrt genauso ging.
Wir hatten Englisch bei Mrs. Doyle, die uns knapp und gründlich wie immer über Oscar Wildes wichtigste Werke n e ben ‚Ernst sein ist alles’ aufklärte und uns am Ende der Stunde darum bat, als Hausau f gabe zusammenfassend einen Aufsatz über sein Leben und Werk zu schreiben.
Danach machten wir uns auf den Weg in die Biostunde. S o bald wir das Klassenzimmer betreten hatten, wies unser Lehrer uns an, die Mikroskope aus dem Schrank zu nehmen und a n schließend vorne bei ihm Objektträger, Deckgläschen, Pipette, Messer, Pinzette und je ein Stück Zwiebel zu holen. Wir sollten unter dem Mikroskop den Au f bau der Zwiebelzelle unters u chen. Ich machte mich daran, ein dünnes Häutchen von der Zwiebel zu lösen, als mir das Messer wegrutschte und einen tiefen
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