Cedars Hollow (German Edition)
Mittagspausen alberten sie wie üblich he r um, lachten über manche unserer Lehrer oder Mitschüler und b e sprachen ihre Pläne fürs Wochenende. Ich fühlte mich zunehmend wohler in ihrer Nähe; fast kam es mir so vor, als wäre es nie anders gewesen, als hätte die unsichtbare Mauer zwischen uns nie e xistiert. Manchmal, wenn Megan einen Witz erzählte und mich a n strahlte oder Fred von seiner neuesten Errungenschaft in Form eines Flu g zeugmodells berichtete, vergaß ich sogar für einige Augenblicke me i ne Sorgen und lachte mit ihnen, wie ich es früher immer getan hatte.
Jeden Abend ließ ich mich erschöpft aufs Bett sinken und schlief sofort ein. Ich hatte keine Albträume mehr. Es gelang mir, mich wi e der an mein alltägliches Leben zu gewöhnen, o h ne gröbere Fehler zu machen. Ich redete mir ein, dass es mir gut ging, und es funktionierte auch beinahe.
Aber da war eine Sache, die all dem widersprach. Ein Riss, eine klaffende Wunde in meinem Inneren. Etwas fehlte. Und egal, wie sehr ich versuchte, diese Wunde aus eigener Kraft zu heilen, es gelang mir nicht. Das fehlende Stück meiner Seele ließ sich nicht finden, und ohne es war ich verloren.
Als ich am Freitag die Haustür hinter mir schloss, rief mein Dad mich zu sich in die Küche. Ich erschrak etwas darüber, dass er plöt z lich wieder mit mir redete.
Er saß am Tisch, den Blick auf seine Hände geheftet, mit d e nen er die Tischplatte umklammerte.
„Was ist los?“ Ich war beunruhigt. Ich schaffte das einfach nicht mehr. Nicht allein. Hätten wir nicht versuchen sollen, uns gegenseitig aufzurichten? Stattdessen blieben wir beide am B o den liegen.
„Sie wollen die Ermittlungen einstellen.“
Er brauchte mir nicht zu erklären, wen er damit meinte. Geistesa b wesend nahm ich mir einen Stuhl und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch.
„Warum?“
„Nicht genügend Hinweise“, erwiderte er, ohne mich anz u schauen.
Danach gab es nichts mehr zu sagen, und so schwiegen wir uns an, bis ich es nicht mehr ertrug und mich leise aus der K ü che schlich. Wie in Trance taumelte ich die Treppe nach oben in mein Zimmer und ließ mich aufs Bett fallen.
Was auch immer mit Mom passiert war, ich würde es nie e r fahren. Der Täter würde unbehelligt davonkommen. Vielleicht sogar mit dem Töten weitermachen.
Ich hatte mir eingeredet, dass es mir gut ging, aber jetzt hatte der Schmerz mich wieder. Während es draußen erneut zu re g nen begann, versuchte ich zu lesen, zu schlafen, Musik zu h ö ren, um nicht mehr über Mom nachdenken zu müssen. Ohne Erfolg.
Nach einer Weile bemerkte ich, dass mein Magen knurrte, a l so ging ich noch einmal nach unten und machte mir einen K a kao, den ich oben in meinem Zimmer zur Hälfte austrank, ehe ich nicht mehr konnte. Danach legte ich mich wieder aufs Bett und lauschte der Melodie des tröpfelnden Regens, während ich mich angestrengt d a rauf konzentrierte, nicht nachzudenken.
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, und als ich wieder au f wachte, war es hell draußen. Silbriges Licht drang durchs Fenster und malte verwinkelte Muster auf den Fußboden me i nes Zimmers.
Es zog mich nach draußen; ich wollte mich selbst davon überze u gen, dass das herbstliche Dämmerlicht verschwunden und durch ein klareres ersetzt worden war. Ich setzte mich schlaftrunken auf, ging leise die Treppe nach unten und durch die Haustür in den Garten.
Erst da begriff ich, dass es nicht heller Morgen war, sondern Nacht, und dass das Licht, das ich gesehen hatte, das des Mo n des war.
Wie im Traum drehte ich eine Runde durch den Garten. Es war eiskalt und feucht draußen, so dass meine Finger und Z e hen nach wenigen Minuten steif waren. In der Ferne bellte ein Hund, und über mir hörte ich das leise Schlagen von Fl ü geln. Ich begriff, dass ich in meinem seltsamen Zustand mit offenen Augen geschlafwandelt h a ben musste. Durch feuchtes Gras schlich ich zurück zum Haus.
Ein blasses Jungengesicht mit kupferroten Haaren und hel l blauen Augen starrte in meine Richtung. Es war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt.
Wie gelähmt stand ich da. Dann blinzelte ich mehrere Male hinte r einander, als könnte ich das Gesicht dadurch versche u chen. Und es glückte mir.
Wer auch immer es gewesen war – er war weg.
Ich brauchte noch mindestens drei Minuten, bis es mir g e lang, mich wieder zu rühren. Mein Körper schmerzte vor A n spannung. Die Kälte prickelte auf meiner Haut.
Langsam, mit halb gefrorenen
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