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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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einer
halben Stunde war er angekommen, hatte seinen mit Schneeflocken bedeckten
Mantel ausgezogen und saß seither neben dem großen Ofen in der Baracke, aber
Ömer merkte, dass sein schmaler Körper noch immer fröstelte. Er war eben in
Nişantaşı verzärtelt worden und die Kälte in der Osttürkei nicht
gewöhnt.
    »Dich friert ja noch immer!«
    »Ja, aber nicht mehr so schlimm.«
    »Wir essen bald. Es gibt Suppe, von
der wird dir warm. Aber erst zeige ich dir mal die Räumlichkeiten.«
    Sie standen auf, und Ömer machte die
erste Tür auf.
    Zum Ton eines Vermieters, der eine
Wohnung anpreist, sagte er: »Hier ist die Toilette! Es ist ein Stehklo, aber
daran wirst du dich gewöhnen. In Nisantsi habt ihr doch unten auch eins, für
die Dienstboten …«
    »Mein Vater benutzte es aber auch!«
sagte Refık entschuldigend. »Als er das Haus kaufte, war es noch ein
Sitzklo, und er hat es extra umbauen lassen.«
    Ömer dachte: »Das war ein
unpassender Scherz von mir!« Dann fiel ihm ein, dass Refıks Vater ja gestorben
war. »Ach ja, mein Beileid übrigens wegen deinem Vater!«
    Schweigend starrten sie auf die
kalten Fliesen der Toilette, als gäbe es dort noch etwas zu sehen.
    »Tut mir wirklich leid!« sagte Ömer.
Dann umarmte er Refık. »Schön, dass du gekommen bist! Ich habe mich so
gefreut, als ich dein Telegramm bekommen habe! Ich konnte es kaum glauben!« Als
käme er sich plötzlich zu gefühlsduselig vor, wandte er das Gesicht ab. »Jetzt
zeige ich dir dein Zimmer!« Gleich neben der Toilette öffnete er die Tür zu
einem großen, völlig leeren Raum, durch dessen kleines Fenster sie auf den
herabrieselnden Schnee hinaussahen.
    »Das ist aber groß! Und ziemlich
kalt!«
    »Ja, das Heizen ist ein Problem. Ich
hatte mir nur gedacht, du willst vielleicht ein großes Zimmer. Im Winter wird
nur an den Tunnels gebaut, darum stehen die Baracken ziemlich leer. Vielleicht
willst du ja lieber zu mir in mein Zimmer, schau es dir mal an. Ob du da aber
ein ruhiges Plätzchen zum Lesen findest …« Lächelnd öffnete er die Tür zu
seinem eigenen Zimmer.
    Refık trat zögernd ein. Ömer
sah ihm über die Schultern, denn das, was Refık gerade begutachtete, nahm
er selbst vor lauter Gewohnheit schon gar nicht mehr wahr: das Bett, die paar leeren
Bettgestelle daneben, den Tisch voller Skizzen und Berechnungen, den klobigen
Schrank, den riesigen Ofen, dessen Rohr im Zimmer umhermäanderte, das Tischchen
voller zum Trocknen ausgelegter Zigaretten, die mit Zeitungspapier
abgedichteten Fenster, den Holzfußboden, dieses ganze eher alt und schmuddelig
wirkende Ensemble.
    »Hier gefällt es mir besser. Und es
ist wärmer!«
    »Dann richte dich doch hier ein!«
    »Ich will dich aber nicht stören!«
    »Was heißt da stören! Wo wir soviel
zu reden haben!«
    »Ja genau! Darauf freue ich mich
schon!« sagte Refık.
    Ömer nickte. Er dachte: »Haben wir
wirklich soviel zu reden? Ich fühle mich jetzt schon unwohl mit ihm. Warum ist
er überhaupt gekommen? Na ja, gefreut habe ich mich zuerst schon. Und zum Reden
finden wir schon was!« Refık sah sich noch immer in dem Zimmer um. Ömer
fragte ihn unvermittelt: »Und wie geht es dir sonst so?«, merkte aber selber
erschrocken, in was für einem seltsamen Ton er das gesagt hatte.
    »Gut soweit!« erwiderte Refık,
der selbst einen ziemlich befangenen Eindruck machte. Sein Gesicht war blass
und abgemagert, hatte nichts mehr von seiner früheren
Rundlichkeit. Auch seine Blicke strahlten nicht mehr dieses Selbstbewusste aus.
Er wirkte nun eher wie jemand, der sich mit allerlei Sorgen herumplagt und
daher grundsätzlich skeptisch ist. Und doch machte Ömer bei ihm noch immer
Anzeichen jenes guten Willens aus, mit dem Refık seit jeher zu glätten und
zu besänftigen wusste. Nach so langer Trennung schien dieser gute Wille sogar
noch stärker zu sein und wischte ganz einfach fort, was zwischen ihnen stehen
mochte.
    »Gut, dass du gekommen bist!« sagte
Ömer wieder.
    Nun war es Refık, dem die Sache
zu gefühlig wurde. »Ich hole meinen Koffer«, sagte er und ging hinaus.
    Ömer konnte sich gar nicht mehr vom
Anblick seines Zimmers trennen. »Zwei Jahre bin ich nun schon da!«
    Refık kam mit dem Koffer
herein. Ömer bemühte sich um ein Lächeln. Dann nahm er eine der Matratzen, die
auf einem Bettgestell übereinanderlagen, und roch daran. Er fand sie zu muffig,
roch an der nächsten, mit dem gleichen Ergebnis. Die dritte fand er annehmbar
und fragte darauf Refık, wo er denn schlafen

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