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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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unbeeindruckt zu wirken,
rastete Refık aus: »Du bist ein hirnloses, oberflächliches Geschöpf!«
Perihan drehte sich zu ihm um, aber er war nicht mehr zu bremsen. »Ein
strohdummes, nichtsnutziges Weibsbild bist du, verstehst du mich? Nein, denn du
hast mich nie verstanden und hast es nicht einmal versucht!«
    Perihan sah Refık besorgt an
wie einen Kranken.
    Refık stürmte hinaus und schlug
die Tür zu. Draußen blieb er allerdings stehen und horchte kurz, ob er drinnen
etwas hörte. Das war aber nicht der Fall, und so ging er ins Arbeitszimmer
hinunter. Dort versuchte er sich wieder an dem Buch, in dem er zuvor schon
gelesen hatte. Er bemühte sich, wieder Gewalt über sich zu bekommen und jede
seiner Arm- und Beinbewegungen zu kontrollieren, um sich ganz auf das Buch zu
konzentrieren, nämlich Rousseaus Bekenntnisse, doch blieb er wieder und
wieder am ersten Satz hängen. Also stand er auf und zündete sich eine Zigarette
an. Die Hände zitterten ihm dabei. Rauchend ging er auf und ab und dachte dabei
an das, was er gerade gesagt hatte, und an Perihans Imitation. Hätte ihm noch
kurz zuvor jemand prophezeit, dass seine Frau ihn derartig verspotten und er
sie daraufhin mit so primitiven Ausdrücken belegen würde, dann hätte er das
nicht geglaubt und solcherlei nur in Ehen zwischen moralisch schwachen Menschen
für möglich gehalten. Wie aber konnten Praktiken, wie sie nur unter solchen
Leuten üblich waren, plötzlich in sein eigenes Leben geraten? »Wie konnte das
nur passieren? Wie konnte ich nur so etwas zu Güler sagen? Und dann so mit
Perihan umgehen?« Wie eine Faust spürte er die Wut in der Kehle, eine Wut, die
es ihm unmöglich machte, in geordneter Weise nachzudenken und die
Katastrophenstimmung zu bekämpfen, die in ihm hochstieg. Er musste irgend etwas
tun. Beim Herumwandern im Zimmer blieb er an einen Sessel hängen und stieß den
Aschenbecher vom Tisch. Er versuchte sich zu beherrschen und das Zittern der
Hände zu unterdrücken. Plötzlich eilte er aus dem Zimmer, hastete die Treppe
hinauf und stürzte wie ein Betrunkener ins Schlafzimmer, wo Perihan weinend auf
dem Bettrand saß. Auch die Kleine weinte.
    »Du hast mich nie verstanden! Und
dich nie um mich gekümmert!«
    Er riss den Schrank auf und griff
sich wahllos Jacketts, Pullover, Socken und warf alles aufs Bett. Perihan
sollte das natürlich mitbekommen, doch sie hatte die Hände vors Gesicht
geschlagen und weinte weiter.
    »Nie hast du mich verstanden!« rief
Refık wieder, und es schnürte ihm dabei die Kehle zu. Röchelnd brachte er gerade
noch hervor: »Ich kann in diesem Haus nicht länger bleiben! Ich gehe!«
    »Mein Gott, was habe ich dir denn
getan?« klagte Perihan.
    Refık holte einen Koffer aus
dem Schrank, stopfte ihn mit Kleidern voll und rief dazwischen immer wieder:
»Nie hast du mich verstanden, nie!« Einmal hielt er kurz inne und dachte: »Wo
soll ich eigentlich hin?«, und am liebsten hätte er Perihan ganz einfach
umarmt, aber dann schreckte er doch davor zurück und rief: »Ich kann hier nicht
mehr bleiben!« Das wiederholte er noch mehrfach, wie um sich selbst davon zu
überzeugen. Schließlich klappte er den Koffer zu, nahm aus einer Schublade sein
ganzes Geld und ging hinaus, wobei er es sorgfältig vermied, Perihan ins
Gesicht zu sehen. Unten im Arbeitszimmer nahm er die Bücher und Hefte, die auf
seinem Schreibtisch lagen, und stopfte sie ebenfalls in den Koffer. Sie
erschienen ihm nicht genug, und so blickte er suchend auf die Bücherregale. Er
entnahm ihnen noch ein paar Bücher, bis nichts mehr in den Koffer hineinpasste.
Wütend kämpfte er mit dem Kofferdeckel, brachte ihn schließlich zu und verließ
das Zimmer. Dann ging er hinunter ins Erdgeschoss.
    Im Salon spielte das Radio. Nigân
und Nermin unterhielten sich, Osman saß rauchend da. Refık stapfte
entschlossen mitten in den Raum und stellte seinen Koffer ab.
    Betretenes Schweigen. Dann stand
Osman auf. »Was ist denn mit dir los?«
    »Ich gehe!« Die Situation war
Refık furchtbar peinlich, aber er wusste nicht, wie er da wieder
herauskommen sollte. Er war den anderen böse, dass sie nicht sofort begriffen,
sondern erst mühsam überzeugt werden wollten.
    »Was hast du denn?« fragte Nigân.
    Refık sah Osman an und sagte:
»Perihan und ich haben gestritten!«
    »Na und, ist das ein Grund zum Kofferpacken?
Dann schläfst du eben hier unten heute. Oder komm in mein Zimmer, und Nermin
schläft hier!«
    »Nein, nein! Ich fühle mich auch
sonst nicht

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