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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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deutete
auf die beiden jungen Männer an den Längsseiten des Tisches.
    »Da ist er ja!« sagte er mit vollem
Mund. »Das ist auch einer von uns, auch vom Bauwesen, und vor dem solltet ihr
den gleichen Respekt haben wie vor mir!«
    Alle am Tisch lachten. Refık
machte Bekanntschaft mit den zwei Ingenieuren, die er am Abend nicht mehr
gesehen hatte. Der grö ßere, dunklere der beiden hieß Salih, der andere, etwas
dicke war Enver. Zum Frühstück gab es Käse, Marmelade und Rahm. Refık
holte sich Tee vom Ofen und setzte sich. Salih sagte, er könne sich vom Studium
her noch an Refıks Gesicht erinnern, worauf dieser, nicht wenig
geschmeichelt, irgendwie eingehen musste. Er fragte, ob die beiden in dem Jahr
an die Uni gekommen seien, in dem Professor Münip in Pension gegangen sei. Dann
gingen sie ein paar andere Dozenten durch. Im Fach Eisenbahnbau hatten sie
denselben Lehrer gehabt. Ömer sagte, Refık könne doch nun seine Kenntnisse
ein wenig auffrischen, aber der entgegnete, so lange wolle er nun wirklich
nicht bleiben, und überhaupt sei er von der Materie so weit entfernt, dass er
sich kaum noch an etwas erinnere. Als er sich wieder Tee holte, fragte Enver: »Ich
hatte gedacht, Sie seien zum Arbeiten hierhergekommen!«
    »Nein, nein! Ich bin nicht als
Ingenieur, sondern als Kaufmann tätig. Ich mache hier nur einen Monat lang
Urlaub.« Dann fügte er hinzu: »Ich wollte ein bisschen weg aus Istanbul, mich
ausruhen!«
    »Dazu fährt man doch nach Europa!«
sagte Enver ein wenig brüsk. Dann stand er vom Tisch auf, als ob er sich wegen
etwas schämte. Kurz darauf folgte ihm auch Salih.
    Als sie draußen waren, sagte Ömer
lachend: »Die haben gemeint, du würdest hier einsteigen! Ich habe nämlich einen
Vertrag mit den beiden; sie bekommen kein Gehalt, sondern eine
Gewinnbeteiligung. Jetzt haben sie gefürchtet, du wärst ein neuer Teilhaber!«
Er lachte wieder, aber nicht auf angenehme Weise. »Na, wie findest du die
zwei?«
    Refık erinnerten sie an
Muhittin.
    Noch bevor er antworten konnte,
sagte Ömer: »Es sind gute Jungs. Und sie haben echt was im Kopf! Waren die
besten Studenten ihres Jahrgangs. Und sie brauchen Geld!« Dazu setzte er ein
süffisantes Unternehmerlächeln auf, wie Refık es nie zuvor an ihm gesehen
hatte.
    »Ja, sie machen einen guten
Eindruck«, sagte Refık beiläufig. Dann stand er auf, um sich wieder Tee zu
holen. »Willst du auch noch einen?«
    »Noch einen Tee?« sagte Ömer und
gähnte. »Na gut, her damit!« Er gähnte gleich noch einmal.
    Refık stellte die beiden
Teegläser auf den Tisch. »Wie schön die Sonne scheint!«
    »Ja, so eine Sonne hast du im
Februar nicht mal in Istanbul!«
    Sie sahen gemeinsam zum Fenster
hinaus. Die Sonne schien auf den Tisch. Refık nahm sich noch etwas Rahm.
    »Der ist gut, was?« sagte Ömer.
Verwundert rief er dann aus: »Ach, du hast dich ja schon rasiert! Das wird aber
Herrn Rudolph gar nicht gefallen! Ich habe dir doch von Herrn Rudolph
berichtet? Heute abend gehen wir zu ihm hin, der freut sich bestimmt. Er ist
seit zehn Jahren in der Türkei und spricht sehr gut Türkisch. An der Strecke
Samsun-Sivas hat er auch schon gearbeitet. Er mag es nicht, wenn man sich
unnötig rasiert. Er hat es nicht so mit der Disziplin.«
    Da ging die Tür hinter Refık
auf, und Hacı kam herein, den Refık schon am Vortag kennengelernt
hatte: ein stiller, unscheinbarer Mann. Wortlos ging er aus der Baracke hinaus.
Als Refık dem alten Mann durch das Fenster nachsah, wie er durch den Schnee
davonstapfte, wollte er auch sogleich hinaus und stand auf.
    »Bleib noch sitzen und rauch deine
erste Morgenzigarette!« sagte Ömer. »Nachher gehen wir gemeinsam zum Tunnel,
ich habe dort zu tun. Du kannst dann allein zurück und dich in der Gegend
umsehen.«
    Wortlos rauchten sie. Refık sah
zum Fenster hinaus, auf die verlockenden Berge und den Himmel.
    Als sie die Baracke verließen, wurde
Refık von der auf dem Schnee gleißenden Sonne geblendet. Es war ein
grelles, aber irgendwie beruhigendes Licht, wie er es noch nie gesehen hatte.
Er konnte den Kopf nicht heben und versuchte nur, sich an das Licht und an den
eigenartigen Glanz zu gewöhnen, der ihm Auge und Verstand erfüllte. Es war
kalt, doch herrschte nicht etwa eine erbarmungslose, bis ins Mark dringende Kälte,
sondern eine belebende, die den Menschen Elan und Entschlossenheit verlieh.
Refık hörte nichts anderes als den unter seinen Schritten knarrenden
Schnee. In sanfter Steigung ging es den Hügel hinan.

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