Cevdet und seine Soehne
wolle. Refık blickte
eine Weile unschlüssig umher, wie ein junger Ehemann beim Einrichten seiner
Wohnung. Dann entschied er sich, und sie legten die Matratze auf das Gestell,
und auch Bettwäsche und Decken waren im Überfluss vorhanden. »Wie lange sind
wir jetzt schon befreundet?« fragte sich Ömer. Man hörte den Ofen bullern.
»Zehn Jahre! Na, wenigstens ist mir inzwischen mein verdammter Ehrgeiz abhanden
gekommen …« Er sog den Istanbuler Duft ein, der Refıks Koffer
entströmte, und inspizierte die Bücher und sonstigen Gegenstände, die nach und
nach daraus auftauchten. Dann setzte er sich auf sein Bett, zündete sich eine Zigarette
an und sah Refık weiter beim Auspacken zu. Refık räumte seine Sachen
auf eine kleine Truhe neben dem Bett. Plötzlich merkte Ömer, wie fremd
Refık ihm geworden war. So wie man einem Metzger, den man seit Jahren nur
hinter seiner Theke kennt, erstaunt auf die Beine sieht, wenn man ihn einmal
auf der Straße trifft, so starrte nun Ömer Refık an, den er noch nie
woanders gesehen hatte als in Nişantaşı, in der
Ingenieurhochschule, in Istanbul eben. Es erschien ihm auf einmal, als hätte er
nicht Refık vor sich und sei auch selbst ein ganz anderer, und aufgeregt
fragte er sich: »Was hätte aus mir werden können? Was hätte ich machen sollen,
als ich aus England zurückkam?« Wie schon so oft in den letzten beiden Jahren
zählte er wieder das gleiche an den Fingern her: »An die Uni gehen, ein
Ingenieurbüro aufmachen, für kleinere Bauprojekte arbeiten, in Istanbul leben
…« Wütend dachte er dann: »Nichts davon! Also war es doch richtig!«
Da drehte sich Refık um und
fragte: »Wie geht es eigentlich Nazli?«
»Gut. Im Frühjahr und im Sommer habe
ich sie ein paarmal in Ankara besucht. Ansonsten schreiben wir uns.« Plötzlich
hatte er das Bedürfnis, sein Herz auszuschütten. »Wir schreiben uns, aber es
gibt immer weniger zu berichten. Sie schreibt, was sie so macht, und ich, was
ich so mache … Aber was hat das für einen Sinn?«
Refık lächelte, als wollte er
sagen: »Was das für einen Sinn hat? Nun, das hat den Sinn, dass es einfach
schön ist, wenn zwei Verlobte sich schreiben! Warum fragst du das?«
»Und wie geht es Perihan?« fragte
Ömer.
»Auch gut.«
»Du hast ja noch gar nichts von
deiner Tochter erzählt. Melek heißt sie doch?«
»Ja.«
»Und wie ist sie so?«
»Wie ein Engel eben, aber sie wird
wohl riesengroß.«
»Wer von euch ist auf den Namen
gekommen?«
»Ich«, sagte Refık zögerlich.
»Ich wollte immer eine engelsgleiche Tochter haben!« Er ließ von seinem Koffer
ab und streckte sich auf dem Bett aus.
Ömer tat es ihm gleich. Er sah
rauchend zur Decke hinauf und versuchte die letzten Überbleibsel ihrer Wiedersehensfreude
zu genießen. Bald würde der Glanz ihrer wiederaufgeblühten Freundschaft
verblassen, das Gemeinschaftsgefühl zweier Bett an Bett schlafender
Internatsschüler oder Soldaten verlorengehen und sich statt dessen das
erkaltende Verhältnis zweier Menschen einstellen, die ihre Lebensansichten
aufeinanderprallen lassen und sich gegenseitig verurteilen.
Refık sprach noch einmal von
der engelsgleichen Tochter, die er sich gewünscht hatte, und stieß dann
ein nervöses, fast krankhaftes Lachen aus.
Ömer stutzte. So etwas war er von
Refık nicht gewöhnt. »Du machst einen ziemlich nervösen Eindruck!«
»Ich bin einfach müde nach der
langen Reise.«
»Dann schlaf doch ein wenig. Wir
essen in einer Stunde. Das Schlafen wird dir guttun.«
»Nein, nein … Ich kann ja hier
einen Monat so lange schlafen, wie ich will. Unterhalten wir uns lieber.«
»Einen Monat willst du bleiben?«
»Ja. Zu Hause habe ich gesagt, in
einem Monat komme ich zurück.«
Ömer dachte: »Soso, für einen Monat
hat er sich davongemacht. Solange wird er hier schlafen, die mitgebrachten
Bücher lesen und im ganzen Zimmer sein ach so ausgeglichenes Wesen verbreiten,
während ich mir wieder wie der von Ehrgeiz zerfressene Bösewicht vorkomme. Es
ist leicht, als der Glückliche und über alles Erhabene dazustehen, wenn man
sich nie auf etwas einlässt. Obwohl, diesmal hat er was Unstetes an sich …
Ach, was grüble ich da schon wieder! Ich sollte lieber die Zeitungen lesen, die
er mir gebracht hat. Mal sehen, was sich in der Welt so tut, während ich hier
mit dem Geldverdienen und Erobern beschäftigt bin!« Dabei war er durchaus nicht
uninformiert, da einer der deutschen Ingenieure ein leistungsstarkes Radio
besaß, mit dem sich ganz
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