Cevdet und seine Soehne
selbst über
seinen Ton.
Ayşe stand selbstbewusst
schweigend da, als wüsste sie schon, worauf das alles hinauslaufen würde. Diese
herausfordernde Art war neu an ihr.
»Ich will nicht lange drum
herumreden!« sagte Osman. »Du bist wieder mit diesem Geigenspieler gesehen
worden!« Er sah Nermin und Nigân an und fügte hinzu: »Von Dildade und Leyla!«
Er setzte sich in seinen Korbstuhl. »Hast du dazu etwas zu sagen?«
Ayşe schüttelte den Kopf. Als
wäre sie nur dazu gekommen und müsste nun gleich wieder weg, blickte sie
ungeduldig zum Haus zurück.
»Hiergeblieben! Jetzt setz dich mal hin
und hör mir gut zu! Ich habe dich wegen der Sache zweimal gewarnt. Beim
erstenmal noch im guten, weil ich das Ganze für einen Zufall hielt. Beim
zweitenmal in aller Ernsthaftigkeit, aber bei dir ist das anscheinend zum einen
Ohr hinein und zum anderen wieder heraus!« Um zu demonstrieren, wie es zum
anderen Ohr herausgekommen war, hielt er sein rechtes Ohrläppchen fest, und
als er merkte, wie lächerlich das war, fühlte er wieder diese Ungerechtigkeit
und bekam erst recht eine Wut. »Kurz und gut: Du wirst erstens diesen Sommer in
die Schweiz fahren, zu deiner Tante Taciser. Ich schreibe ihr noch heute einen
Brief. Du bleibst den ganzen Sommer dort. Und zweitens gehst du ab sofort nicht
mehr zu diesem Klavierlehrer.« Er sah Ayşe genau an, um die Wirkung seiner
Worte zu prüfen. »Von der Schule wird dich jetzt auch jemand abholen. Nuri zum
Beispiel. Oder dieser Gärtner, der sowieso nichts taugt. Irgend jemand auf
jeden Fall! Nun, was sagst du dazu?«
Ayşes Augen leuchteten ein
letztesmal rebellisch auf: »Ich will sowieso keinen Klavierunterricht mehr!«
Dann erlosch ihr Glanz, und Ayşe wirkte nur noch trist.
»Moment, ich habe lediglich gesagt,
dass du nicht mehr zu diesem Klavierlehrer gehst! Dieses Jahr ist es vorbei mit
dem Unterricht, aber nächstes Jahr nimmst du wieder welchen! Nächstes Jahr …
Hörst du mir eigentlich zu? Dann sieh mich bitte an! Ja, so! Und hör auf mit
der Zappelei, das macht mich ganz nervös! Lass dir das eine gesagt sein: Du
hast in mir jetzt keinen Bruder mehr zu sehen, sondern praktisch einen Vater!«
In einem Anflug von Triumph sah er zuerst Nigân und dann Nermin an.
Beide Frauen musterten Ayşe und
nickten zustimmend. Soweit hatte es eben kommen müssen!
Bevor Osman sich wieder seinem Tee
und der Zeitung widmen konnte, musste er noch ein letztes sagen: »Und dass ich
dich nicht mehr mit diesem Geigenspieler sehen will, brauche ich wohl nicht
extra zu betonen, oder?« Fordernd sah er sie an. »Oder etwa doch?« Dann fragte
er unvermittelt: »Was ist denn sein Vater von Beruf?«
»Lehrer«, hauchte Ayşe.
»Lehrer! Ein Lehrerskind …« Wütend
stand er auf. »Der will dich doch nur reinlegen, das liegt auf der Hand! Er hat
begriffen, aus was für einer guten Familie du kommst, und jetzt will er sich
dein Erbteil unter den Nagel reißen und sich einen schönen Lenz machen! Und bei
dir revanchiert er sich dann, indem er auf seiner Geige herumkratzt …«
Vorgebeugt ahmte er einen Geigenspieler nach und freute sich, dass ihm das
einigermaßen gelang und nicht einmal lächerlich wirkte.
»Er ist ein guter Junge!« rief
Ayşe da aus und fing an zu weinen.
»Ein guter Junge! Von wegen! Ein
gerissenes Kerlchen ist er! Und reinlegen will er dich! Begreifst du denn
nicht, worum es ihm geht? Hast du nicht einmal soviel Hirn? Ein guter Junge!
Absahnen will dein guter Junge! Und dann spielt er wieder Geige, kratz, kratz,
kratz … Sag mal, weißt du eigentlich, wie man Geld verdient? Wir schicken
dich jetzt in die Schweiz; ist dir klar, was das kostet?« Ein regelrechter Ekel
kam in ihm auf. Am liebsten hätte er sich schon wieder ausgiebig die Hände
gewaschen. »Hör auf zu weinen, damit erreichst du gar nichts! Anstatt zu
weinen, solltest du mal überlegen, was das alles kostet hier und was es heißt,
ein Haus und eine Firma aufzubauen! Dein Vater hat als Holzverkäufer
angefangen, vergiss das nicht! Na gut, dann wein von mir aus, aber nicht hier!
Geh rauf in dein Zimmer und heul dort weiter!«
Dann sah er seiner Schwester nach,
wie sie auf die Küchentür zuging. »Diese ganze Arbeit, die Familie, die Firma,
das alles!« murmelte er. Er griff zu seinem Tee, doch der war inzwischen kalt
geworden. Um sich zu beruhigen, setzte er sich in seinen Korbstuhl. Dann warf
er erst seiner Mutter und dann seiner Frau einen kurzen Blick zu. Er versuchte
seiner inneren Unruhe und dem
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