Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
Vom Netzwerk:
galt.
    Die Gäste, die seit einer halben
Stunde wie hungrige Katzen um den Tisch herumgeschlichen waren, setzten sich
nun allmählich hin. Sie warteten darauf, dass das soeben vom Feuer genommene
Lamm zerlegt wurde. Der weißgekleidete Koch und ein Diener waren unter einem
Baum mit dem Schneiden beschäftigt.
    In dem mit Hilfe eines Generators
beleuchteten Raum in Kerim Nacis Baracke lauschten die Gäste nun den Anekdoten,
die der Hausherr vom Bau der Eisenbahnlinie Sivas-Samsun erzählte. Die Gäste lauschten aufmerksam, und man
hörte lediglich hin und wieder zustimmende Zwischenrufe des Abgeordneten
İhsan sowie das Geflüster eines dänischen Ingenieurs, der seiner Frau alles
übersetzte.
    Als das Fleisch serviert wurde, hob
İhsan an, von seiner Reise in die Ostprovinzen zu erzählen. Durch die
vergangenes Jahr in der Region Dersim durchgeführte Militäroperation sei in der
Osttürkei wieder Ruhe eingekehrt, erklärte er. Niemand brauche sich mehr vor
räuberischen Überfällen zu fürchten oder sich zu sorgen, was morgen wohl alles
passieren werde. Dieser geordnete Zustand sei jedoch nicht nur mit
militärischer Kraft hergestellt worden, sondern nicht zuletzt auch den
Entwicklungs- und Erziehungsmaßnahmen der Regierung geschuldet. İhsan
wandte sich beim Sprechen oft zu Kerim Naci, aber jeder wusste, dass seine
Ausführungen insbesondere an die anwesenden Unternehmer gerichtet waren, die
wegen der Militäroperation ihre Gelder nicht rechtzeitig bekommen hatten. Dann
erzählte der Abgeordnete von einer lustigen Begebenheit, die sich bei der
Einweihung einer Brücke in der Nähe von Elaziğ zugetragen hatte. Die Rede des Gouverneurs war in der
glühenden Hitze etwas zu lang ausgefallen und ab und an von einem schreienden
Esel unterbrochen worden, bis jemand schließlich gerufen hatte: »Jetzt bringt
doch mal diesen Esel zum Schweigen!« Ein kleiner Beamter hatte daraufhin
losgelacht, was ihm aber schlecht bekommen sollte, denn am Abend sorgte der Gouverneur
dafür, dass sowohl jener Beamte als auch der Besitzer des Esels auf der
Polizeiwache eine Tracht Prügel bekamen. Der Abgeordnete lächelte nun
süffisant, und das sollte wohl heißen: »Tja, neben all dem Guten gibt es im
Leben eben auch viel Negatives und Lächerliches, aber ich scheue mich nicht,
euch auch davon zu erzählen!«
    Danach ergriff ein älterer
Kontrollbeamter das Wort und gab zum besten, was er einmal an der Strecke nach
Filyos erlebt hatte. Auch er sah beim Erzählen meistens Kerim Naci an. Den
Gästen war inzwischen eisgekühlter Rakı serviert worden. Es war ein
ruhiger, windstiller Juniabend. In der Ferne sah man die Lichter, die aus den
Arbeiterbaracken in das unbewegliche Dunkel drangen.
    Zusammen mit dem Fleisch war auch
ein riesiges Tablett mit Reis auf den Tisch gestellt worden. Da es
ziemlich lange dauerte, bis der Reis serviert war, tranken manche Gäste ihr
erstes Glas Rakı schon auf nüchternen Magen, so dass die anfangs etwas
steife Atmosphäre sich allmählich auflockerte. Ömer wollte auch etwas zur
Stimmung beitragen, wollte reden, sei es nun, um dem dominanten Kerim Naci zu
zeigen, dass er sich von ihm nicht einschüchtern ließ, oder auch nur, um ein
bisschen in Laune zu kommen, er wusste es selbst nicht so genau, aber je länger
er dasaß, um so dringender wurde dieser Wunsch. Eine Weile unterhielt er sich
mit Rudolph und Refık, doch gab es nicht allzuviel, was die drei hätten am
Tisch besprechen können, ohne ins Flüstern zu geraten, und zudem hatten sie
sich im Lauf der Monate schon so ziemlich alles gesagt. Nachdem der
Kontrollbeamte sein Erlebnis fertigerzählt hatte, fasste İhsan zusammen,
was sich daraus für Lehren ziehen ließen. Danach wollte Ömer endlich zu Wort
kommen, um seine eigene Stimme hören, und so sprach er den stillen Ingenieur
mittleren Alters an, der ihm gegenübersaß, und erzählte ihm etwas im Grunde
genommen höchst Uninteressantes. Damit der Ingenieur seine Blicke nicht
schweifen lassen konnte, sah Ömer ihm dabei geradewegs in die Augen. Als er bei
der Pointe ankam, blickte der Ingenieur, anstatt zu lachen, mit
entschuldigender Miene doch wieder zur Mitte des Tisches und zu Kerim Naci, und
Ömer begriff, dass er hier nicht würde punkten können. Am liebsten wäre er
aufgestanden, aber dann sah er, wie Refık sich einstweilen in aller
Gemütsruhe am Essen gütlich tat.
    Refık sagte gar nichts, hörte
nur zu, beobachtete die Leute und füllte sich den Teller, als sei er nur
gekommen, um

Weitere Kostenlose Bücher