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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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abgewickelt wurde, irgendwie unzufrieden sein. Wenn
jemand etwas zu beanstanden hatte, wurden sie sogleich unruhig, als ob ihnen
ihr Vermögen auf der Stelle entgleiten könnte. Viel lieber hatten sie es daher,
wenn von den Erfolgen der Republik geredet wurde, von Hatay, den
niedergeschlagenen Kurdenaufständen und von brüderlichem Zusammenleben. Die
zweite Gruppe bestand aus Beamten, angestellten Ingenieuren und staatlichen
Kontrolleuren. Sie wussten genau, wie die anderen reich geworden waren, und
verachteten sie daher, doch da die meisten von ihnen ja nichts anderes
anstrebten, als selbst so zu werden, mischte sich in diese Verachtung auch
Neid, Bewunderung und Wut. Manche von ihnen waren einfach zu ehrlich, andere
schlicht überdrüssig, wieder andere darauf aus, so schnell wie möglich in die
erste Gruppe zu wechseln, und einige mittlerweile schon viel zu träge, um sich
noch zu irgend etwas aufzuraffen. Ihnen war aber genauso wie den Unternehmern
bewusst, dass ihre ganze Existenz und Zukunft von Abgeordneten wie İhsan,
von Leuten wie Kerim Naci und vom Staat abhing. Ungezwungene Fröhlichkeit und
eine freie Unterhaltung konnte somit nur bei den ausländischen Ingenieuren
sowie bei einem irgendwie außerhalb jener Beziehungsnetze stehenden jungen
türkischen Ingenieur aufkommen, der sich in aller Seelenruhe betrank. Herr
Rudolph war sehr schweigsam, und Refık schien allein mit Sehund mit
Gaumenfreuden beschäftigt zu sein.
    Ömer trank viel, so wie Refık,
und er wollte von der Präsenz des Großgrundbesitzers, Abgeordneten und Unternehmers
Kerim Naci nicht völlig erdrückt werden, doch dazu musste er sich entweder, wie
zu Anfang, dazu zwingen, durch ein lautstarkes Gespräch auf sich aufmerksam zu
machen, oder er musste sich fortwährend ablenken, musste ständig essen und
trinken. Daran dachte er, als er sich zum zweitenmal von den farcierten
Paprikaschoten nahm und den Koch rief, um den Rakıkrug wieder füllen zu
lassen, und dann zog es ihn schon wieder weg vom Tisch. Er wollte aufstehen,
merkte aber, wie betrunken er war. Ihm fiel sein Standardtrost wieder ein:
»Wenigstens schlägt mir der Alkohol nur auf den Magen!« Ruckartig stand er auf,
und zu Herrn Rudolph, der ihn neugierig ansah, sagte er: »Ich gehe nur auf die
Toilette!«
    Herr Rudolph lächelte
verständnisvoll, desgleichen der Ingenieur neben ihm. Ömer ging zur Toilette,
den Weg dorthin wusste er noch vom Jahr zuvor. Kaum war er drinnen, dachte er
auch schon: »Ich muss wohl kotzen!« Er beugte sich über das Loch und übergab
sich. Danach wusch er sich ausgiebig das Gesicht. Er sah in den Spiegel und
fand sich nicht einmal blass, sondern von gesunder Gesichtsfarbe. Er verließ
die Toilette und hörte von ferne den Tischlärm, doch wollte er nicht gleich
wieder dorthin. Durch eine andere Tür ging er ins Freie hinaus, in die stille,
ruhige Dunkelheit. Er sog den Duft nach Erde und Gras ein und atmete tief
durch. Erst fern von der Menge kam er wieder zu sich und genoss die Nacht. »Ich
bin anders als die da. Ich werde auch nie so werden wie sie!« Eigentlich
erschrak er über diesen Gedanken. Rauchend ging er hin und her.
    Als er an der hellerleuchteten Küche
vorbeikam, sah er durchs Fenster hinein. Der Koch träufelte
gerade etwas über das Tablett mit den Baklava und trat dann etwas zurück wie
ein Maler, der sein Werk begutachtet. Dann nahm er ein Messer zur Hand und
rückte damit auf dem Tablett noch etwas zurecht.
    »Nein, nie werde ich so sein wie
die! Und wie die in den Baracken natürlich auch nicht!« Er ging wieder auf die
Tische zu. »Herren und Sklaven … Kerim Naci! Warum hasse ich den Kerl nur
so?« Ihm fiel wieder ein, was Herr Rudolph gesagt hatte: »Weil er sich alles
unter den Nagel gerissen hat!« Aber lag es daran? »Wenn das stimmt, dann kann
ich gegen den Staat und seine fürchterlichen Diener nichts ausrichten! Ich will
aber etwas tun! Und zwar alles kaputtschlagen! Und Herr sein! Und zwar ein …
ein viel klügerer als Kerim Naci!« Er sah noch einmal zu den Arbeiterbaracken.
»Bewundern tun sie mich nicht, aber Arbeit wollen sie schon von mir. Was soll
ich machen? Ich muss noch mehr Geld verdienen. Und diese Grübeleien
bleibenlassen. Denken! Moral! Wozu soll das gut sein? Ich setze mich jetzt da
wieder hin und denke an nichts anderes als an meine Arbeit! Und wenn bei Tisch
wieder alle nur ihn anstarren? Ach, denk nicht darüber nach!«
    Er setzte sich wieder an den Tisch.
Der Koch brachte das Tablett mit den

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