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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Die
Zeitschrift soll auch Ihnen gehören!« Er sah Cevdets Foto. »Cevdet … Das
Leben von Cevdet! Die ganze Einrichtung hier, die Familie, viele Leute,
Fröhlichkeit, Glück!« Cevdet sah aus seinem Rahmen heraus, als sagte er zu
Muhittin: »Pass nur ja auf!« Muhittin verließ den Raum und wollte gerade
hinunter, als er plötzlich neugierig auf die anderen Zimmer wurde. Er öffnete
eine Tür. »Hm, wohl das Schlafzimmer von Osman und Nermin.« Wegen der
geschlossenen Läden war das Licht so gedämpft wie im ganzen Haus. »So ein
großes Bett … Der Kaufmann und seine Frau. Es riecht nach Seife und Parfum.
Samtbespannte Sessel … Hier leben sie also …« Wieder hätte er am liebsten
alles zerschlagen. Aber nicht einmal lachen konnte er. Er schlug die Bettdecke
zurück und zog unter dem Kopfkissen Osmans Schlafanzug hervor. Er hob ihn hoch,
begutachtete ihn. Obwohl einfach blau-weiß gestreift, hatte der Schlafanzug
doch etwas Kostbares an sich. »Nie wieder ziehe ich so etwas an!« Muhittin
stellte sich Osman vor, wie er im Schlafanzug an irgendwelche Geschäfte dachte
oder mit der nach Seife duftenden Nermin sprach. Dann legte er alles wieder an
seinen Platz und ging ins Zimmer daneben. »Aha, Cevdets Schlafzimmer!« An der
Wand wieder das gleiche Porträt mit dem strengen Blick: Pass nur ja auf! In
diesem Bett also hatte jahrelang Cevdet geschlafen. »Cevdet! Cevdet!« Mit
einemmal wurde Muhittin ganz fröhlich zumute, als ginge die Tür auf und Gäste
strömten herein und andere hinaus, redend, lachend, Witze reißend, sie lebten,
und Muhittin konnte ihnen nur aus der Ferne lauschen. »Ich bin betrunken!« In
einer dunklen Ecke des Zimmers sah er einen Schrank; sofort ging er hin und
öffnete ihn. Auf der einen Seite hingen Nigâns Kleider, die interessierten ihn
nicht. Die Schubläden dagegen zog er auf. Handtücher, Tischtücher,
Seidenstoffe, ein paar Porzellantassen … Plötzlich wurde ihm schwindlig. »Das
alles benutzen sie … Sie benutzen es und leben voller Selbstvertrauen!« Er
fürchtete umzukippen. »Ich sollte ein wenig schlafen!« dachte er und legte sich
auf das Bett. »Wenn jemand kommt, stehe ich sofort auf! Und heute gehe ich zu
Gıyasettin Kağan und sage, die anderen haben den Rassismus
aufgegeben! Was er dann wohl sagt? Ich lese Ihre Artikel! Wie weich das Bett
ist … Ich höre die Uhr! Mahir und Haydar! Höre ich da Schritte? Ich muss
aufstehen, sonst denken sie, ich sei betrunken … Ich stehe auf und sage zu Refık,
dass es mir gutgeht. Da ist er! Ich habe mich nur kurz hingelegt. Das kommt
schon mal vor, wenn man getrunken hat!«
    »Da bist du ja!« rief Ömer. »Was
machst du denn hier? Hat sich hingelegt! Ist dir schlecht? Du hättest kotzen
sollen!«
    »Nein, nein, alles in Ordnung!«
sagte Muhittin und stand auf.
    »Du hast im Schrank herumgesucht, was?«
    Muhittin bemühte sich um ein
Lächeln. »Ich wollte nur ein bisschen sehen … was für Sachen sie so haben.«
    »Du bist unglücklich, was? Was für
Sachen! Das sind die Sachen von Nigân …«
    »Mach zu! Ich glaube, Refık
kommt!«
    Ömer ließ die Augen über die
Schubläden und das ganze blitzsaubere Zimmer schweifen. »Du kannst wohl nichts
anfangen mit dieser Kultur, nicht wahr?«
    »Hier geht es ja noch!« jammerte
Muhittin. »Drüben bei Osman ist es viel schlimmer!«
    Ömer nickte verständnisvoll. »Du
kannst mit dieser Kultur nichts anfangen, und ohne sie kannst du auch nicht
sein. Bist du nun ihr böse oder dir selber? Ärgern dich diese Sachen, oder
ärgert dich deine Unentschlossenheit?«
    »Wenn wir doch sein könnten wie
Refık!«
    Ömer schloss die Schubladen.
»Familienessen, Gelächter, Fröhlichkeit … Alles das hast –«
    »Schnell, mach alles zu! Mensch, das
war doch nur ein Scherz, hast du das nicht kapiert?«
    Als Ömer gerade die Schranktüren
schloss, kam Refık herein. »Was ist denn los hier? Mensch, ist das stickig
hier!«
    »Ich habe ein Handtuch gesucht«,
sagte Muhittin.
    »Wir haben uns schon Sorgen gemacht!
Geht’s wieder? Wir sind ja selber schuld, was müssen wir bei dieser Hitze
trinken! Ich lüfte mal hier, und dann mache ich uns Kaffee.« Er machte
Vorhänge, Fenster und Läden auf. Strahlende Helle drang ins Zimmer.
    »Seht doch mal, wie schön es draußen
ist! Der Garten! Und eine leichte Brise weht auch. Trinken wir den Kaffee
draußen, unter den Bäumen ist es schon kühler jetzt. Hört ihr die Grillen?«
    Muhittin sagte: »Ich treff mich nie
wieder mit euch beiden!«

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