Cevdet und seine Soehne
Zwergen
und Kleingeistern!«
»Siehst du? Du bringst dich nicht
um! Hatte ich nicht gesagt, du findest irgendeinen Vorwand?«
»Was rede ich noch mit jemand, der
sagt, er will kein räudiger Türke sein?«
»Keine Angst, du wirst den heutigen
Tag schnell wieder vergessen!«
»Schau, schau, unser Eroberer! Hätte
gar nicht gedacht, dass ein Eroberer so erbärmlich, so unglaubwürdig und so
defätistisch sein kann! Bist ein moderner Eroberer! Nur dass das Land, in dem
du lebst, eben nicht modern ist! Refık, wie würdest du das sagen? Dass in
dem Land das Licht der Aufklärung noch nicht leuchtet, was? Was macht dann
unser Eroberer? Er ist eben keiner mehr und schmollt. Und lebt seinen Ehrgeiz
in sich selber aus. Dann sieht er in sich hinein und sagt sich: Was bin ich
doch für ein großer Mann! Nur die Welt ist so unmöglich, wie soll ich da nicht
spotten über sie? Das denkst du doch, nicht wahr?«
»Na und du? Du mischst dich jetzt
unters Volk! Wahrscheinlich, weil du so ein miserabler Dichter bist. Deinen
Verstand versuchst du zu ignorieren, aber der lässt dir keine Ruhe, er läuft
dir ständig nach. Du bist nämlich genau das, was du von mir behauptest:
infiziert von der Kultur! Also kannst du deinen Verstand nicht vergessen. Dass
du an dieses Türkentum da glaubst, nehme ich dir auch nicht ab. Du redest dir
lediglich ein, dass du wenigstens irgendwas tust. Aber wir zwei, wir glauben
eigentlich an gar nichts. Nur bei Refık bin ich mir nicht so sicher!«
»Ach komm, Rastignac! Ich bin ein
Türke!« rief Muhittin. »Ich habe jetzt begriffen, wie falsch es war,
hierherzukommen! Von eurer schmutzigen, armseligen Welt bin ich weit entfernt.
Mit meinen Freunden, die sich alle für das
gleiche Ideal einsetzen, die sich aufopfern und brüderlich zusammenhalten, habe
ich –«
»Triffst du dich noch mit den zwei
Soldaten?« unterbrach ihn Refık. »Das waren doch nette Kerle!«
»Soldaten?« fragte Ömer. »Echte
Soldaten also? Hast du die auch umgepolt?«
Muhittin dachte: »Herrgott, warum
bin ich bloß gekommen? Es ist furchtbar! Dieser elende Kerl! Warum bin ich
gekommen, und warum habe ich so gesoffen? Und warum bin ich jetzt so? Und warum
–?«
»Also, hast du sie umgepolt? Ha,
Soldaten! Komm, lies uns doch eins von deinen Lehrgedichten vor, vom Roten
Apfel, vom Grauen Wolf oder so was … Haha! Der schreibt das Zeug und lacht
dann bestimmt als erster darüber! Weil er nämlich selber eine Qualle ist!« Er
warf den Kopf zurück. »Eine Qualle, eine Qualle! He, da an der Decke fliegen ja
lauter Engel herum!«
»Das merkst du jetzt erst?« sagte
Refık schmunzelnd.
»Wo ist denn das Klo?« fragte
Muhittin.
»Das hast du schon vergessen? Oben!«
sagte Refık.
»Das türkische Stehklo ist unten!«
rief Ömer.
Muhittin ging die Treppe hinauf. »Ich
muss mich ein wenig erfrischen!« dachte er. Als er die Stimmen der beiden
anderen kaum noch hörte, wurde er ruhiger. »Muhittin, es war ein Fehler,
hierherzukommen, aber du bist Manns genug, um das wieder auszubügeln! Ich
trinke jetzt einen Kaffee, und dann gehe ich draußen ein wenig herum. Es ist
jetzt zwei, der heißeste Moment des Tages. Am besten, ich gehe heim und lege
mich ein bisschen hin.« Im ersten Stock hörte er die Uhr ticken. »Wer hat die
denn aufgezogen? Refık? Oder Osman kommt in der Woche manchmal hierher.
Die wollen also, dass die Uhr nicht zu ticken aufhört.« Vorsichtig ging er an
der Uhr mit den schweren Gewichten vorbei, als wollte er sie nur ja nicht
berühren. Als er die Toilettentür öffnete, dachte er: »Was fürchte ich mich
denn vor der Uhr? Ich könnte sie einfach kaputtschlagen!« Er wusch sich Hände
und Gesicht und dachte an die ersten Jahre ihrer Freundschaft zurück. »Die
Studentenzeit war doch das beste!« Draußen hörte er wieder die Uhr und geriet
in Wut. »Ich schlag sie kaputt! Dann werden sie sich ganz schön
wundern! Der arme Osman kommt nie darauf, wer das war!« Neben der Wanduhr stand
auf einem Tischchen ein Aschenbecher, zu dem griff Muhittin, holte aus und …
nichts passierte, denn im letzten Moment hielt er sich zurück. »Hm. Ich hab’s
nicht getan!« Er stellte den Aschenbecher wieder ab. Ohne an irgend etwas zu
denken, ging er durch die Tür neben der Uhr in die Bibliothek. »Jahrelang haben
wir hier Poker gespielt! Was ist jetzt aus uns geworden! Aber nein, nein, ich
… Ich gehe zu Gıyasettin Kağan und sage, Mahir Altaylı und die
anderen haben die Sache verraten. Ich werde mit Ihnen arbeiten …
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