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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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in ihrem dummen,
kleinen Alltagsleben sehen. Was machen sie wohl gerade? Ohne irgend etwas zu
merken oder zu begreifen, leben sie dahin und pfeifen dazu noch fröhlich. Im
Ramadan fasten sie, abends trinken sie ihren Kaffee und schwatzen dazu, und sie
pfeifen. Erinnerst du dich noch an unsere Nachbarin in Kula? Die sagte immer:
Pfeift nicht, das ist böse!«
    Cevdet erinnerte sich lebhaft an die
Frau. »Die fürchtete sich wohl vor zischenden Schlangen!« lachte er.
    »Die fürchtete sich vor allem! Und
trotzdem lebte sie glücklicher als ich. Wer weiß, vielleicht lebt sie ja heute
noch! Wenn sie mich sähe, würde sie sich auch vor mir fürchten. Sie würde sich
vor mir ekeln, aber vielleicht auch Mitleid haben und für mich beten. Ach,
dieses träge Volk … Revolution! Weißt du, was das ist? Wir bräuchten eine
Revolution, aber keiner weiß, was das ist, denn man hat es den Leuten nicht
beigebracht!«
    Er schwieg eine Weile. Dann rief er:
»Ach, da will ich das Beste für diese Leute und dass sie in einer anständigen
Welt leben, und genau deshalb kann ich nicht sein wie sie! Ich liege hier fern
von ihnen allein da und warte mit einer Christin zusammen auf meinen Tod. Nein!
Ich will leben! Ich will die Leute sehen, will sehen, was passiert! Was glaubst
du, was jetzt geschieht? Wer hat wohl dieses Attentat verübt? Aber woher sollst
du das wissen!«
    »Ja, ich weiß es eben nicht.«
    »Natürlich nicht.« Nusret versuchte
ein strenges Gesicht zu ziehen, doch seinem Bruder erschien er trotzdem noch
liebenswert.
    Während sie wieder schwiegen, dachte
Cevdet an die zuvor erwähnte Frau zurück. Sie fürchtete sich vor Schlangen,
mochte kein Pfeifen und kochte stets Marmelade ein. In ihrem Garten hatte sie
Feigen- und Pflaumenbäume stehen. Entweder sie kochte wirklich immer Marmelade
ein, oder der kleine Cevdet hatte sie jedesmal, wenn er in ihrem Haus war, bei
gerade jener Tätigkeit gesehen, oder aber es hatte sich in dem Haus auch nur so
ein süßlicher Duft festgesetzt; auf jeden Fall kam Cevdet immer, wenn ihm die
Frau einfiel, zugleich auch ein Marmeladenbrot in den Sinn. Er dachte an dieses Marmeladenbrot und an jenes andere,
das ihm Zeliha am Morgen gereicht hatte, an Marmeladengläser, an das, was im
Hause ,Şükrü Paps wohl zum Frühstück gegessen wurde, und an noch einiges
andere. Er war froh um diese Gedanken, die ihn allmählich der von Tod und
Verzweiflung geprägten Atmosphäre des Zimmers entzogen. Auch musste er nun
nicht mehr bei dem grellen Licht ins Gesicht seines Bruders sehen. Da merkte
er, dass sich etwas regte. Nusret hatte sich aufgerichtet und streckte die
Beine zum Bett hinaus.
    »Wo sind meine Pantoffeln?«
    »Wo willst du denn hin?«
    »Aufs Klo. Ich habe zu tun. Erst
muss ich mich rasieren. Warum fragst du mich überhaupt. Ich bin gleich wieder
da. Dich brauche ich jetzt nicht mehr. Ich will von niemandem Hilfe!« Er
öffnete die Tür. »Ich werde mir die Welt und die Menschen anschauen! Bleib nur
sitzen, ich komme gleich wieder.«
    Cevdet vermutete, dass sein Bruder
tatsächlich nur auf die Toilette gehen würde. Er ging im Zimmer auf und ab und
sah auf die Uhr: Bald drei … »Am besten, ich schicke den Kutscher nach Hause,
der braucht jetzt auch nicht mehr zu warten.« Doch war ihm das zuviel Mühe.
»Warum fahre ich eigentlich nicht nach Hause? Jetzt tut sich doch nichts mehr!«
Und doch setzte er sich wieder hin und wippte nervös mit dem Fuß, als wartete
er auf etwas.
    Schließlich wurde die Tür
aufgerissen, und Nusret kam wieder herein. Er schrie sogleich los: »Ach Cevdet,
der Tod ist etwas Furchtbares, ich will nicht sterben! Da drunten sitzen sie
herum und schwatzen und trinken Tee und rauchen … Ich will nicht sterben!« Schwankend
ging er auf seinen Bruder zu.
    Cevdet fasste ihn unter den Armen
und sagte: »Jetzt leg dich erst mal wieder hin, das Stehen ist viel zu
anstrengend. Und schrei bitte nicht so!«
    »Ich weine!«
    »Jetzt komm schon, ich bringe dich
wieder ins Bett.«
    Nusret aber machte sich los und
legte sich schwungvoll selbst ins Bett, um zu zeigen, dass er keiner Hilfe
bedurfte. »Die leben da drunten. Und sie werden noch weiterleben. Noch dazu wie
Idioten. Und weiterschwatzen werden sie auch. Ich habe ihnen zugehört. Weißt du, worüber sie geredet haben?
Einer hat erzählt, wo er den besten Reispudding gegessen hat, und ein anderer,
dass in Üsküdar die Preise viel niedriger sind. Ich hätte ihnen noch weiter
zugehört, aber vor ihrer Dummheit und

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