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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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stand er
auf, als wolle er das Gesagte mit seiner ganzen Leiblichkeit unterstreichen. Er
holte sich Tee vom Samowar.
    »Große Worte sind das«, sagte
Muhittin.
    Ömer stellte sein Glas auf das
Tablett. »Soll ich dir mal was sagen? Du darfst aber nicht erschrecken, ja? Ich
… ich will kein räudiger Türke sein!«
    »Was?!« rief Muhittin aus.
    Es klang wie ein Pistolenschuss.
    Muhittin sah erst Refık, dann
wieder Ömer an. »Weißt du eigentlich, was du da sagst?«
    Doch Ömer war anscheinend über sich
selbst erschrocken. Er hantierte am Hahn des Samowars und an seinem Teeglas
herum, das er irgendwie nicht voll bekam. Dann wandte er sich zu Muhittin um.
Seine Blicke sollten besagen: »Das war doch nur ein Scherz!« Dann nahm er sein
Glas und sagte: »So etwas in der Art hat Sait Nedims Frau Atiye zu mir gesagt.
Wir waren auf der Fahrt von Paris im selben Zug. Das hatte ich dir doch
erzählt, Refık?«
    »Du sollst jetzt auf der Stelle
erklären, was du damit meinst!« rief Muhittin.
    »Aber Muhittin, Junge! Wir sind doch
Freunde! Und das schon so lange!«
    »Und genau deshalb hätte ich so
etwas nie von dir erwartet!«
    Ömer setzte sich neben Muhittin und
legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter, wie ein großer Bruder.
»Ich sage doch gar nichts, Muhittin! Ich will lediglich herausbekommen, wie ich
aus diesem Leben etwas machen kann!« Dann zog er seine Hand zurück und wandte
sich Refık zu. »Es gibt eben keine Toleranz in der Türkei! Dabei ist
Toleranz so wichtig! Was meinst du dazu?«
    Nun fühlte sich Refık
verpflichtet, selber Stellung zu beziehen. »Warum soll eigentlich das
Alltagsleben unbedingt oberflächlich und gewöhnlich sein? Und warum soll man
sich vor dem hüten, was du so herablassend das kleine Glück nennst? Dem
Alltagsleben wohnt doch auch seine ganz eigene … ja, Poesie inne.« Fast aber
schämte er sich seiner Worte.
    »Damit meinst du doch Perihan, nicht
wahr?« sagte Ömer eifrig. »Du hast ja auch recht, Perihan ist eine sehr –«
    »Nein, die habe ich nicht damit
gemeint«, unterbrach ihn Refık.
    »Ich verstehe dich doch. Eine Frau wie
Perihan findet man nicht alle Tage!« versetzte Ömer.
    »Ich rede doch gar nicht von ihr!
Ich meine bloß, dass man sich auch in Bescheidenheit üben kann!«
    »Bescheidenheit?!« stieß Muhittin
lachend heraus. »Und was ist dann mit diesem Salon da? Und dem Mobiliar?« Mit
einer ausladenden Geste verwies er auf den ganzen Raum, auf das Klavierzimmer,
die Möbel … »Jetzt sei mir nicht böse, aber wie willst du in so einem Umfeld
mit deiner hübschen Frau noch als bescheiden durchgehen? Lachhaft! Du nimmst
mir das doch nicht übel, oder? Jedenfalls, wenn du auf Bescheidenheit aus bist,
dann kannst du das dort verwirklichen, wo ich lebe. Ich kann es dort.« Als sei
nun er an der Reihe mit einer Machtdemonstration, stand er auf. »Aber ich mag
keine Bescheidenheit. Ich will zeigen dürfen, wie schlau ich bin. Darin sind
Ömer und ich uns einig! Aber nur darin!«
    »Warum willst du nicht ein Rastignac
werden, so wie ich?«
    »Was? Was höre ich da? Rastignac!
Du liest also Balzac? Und dem Kerl willst du nacheifern?«
    »Das ist nicht auf meinem Mist
gewachsen«, erwiderte Ömer entschuldigend. »Das stammt wieder von Saits Frau
Atiye …«
    »Was für eine Familie!« erregte sich
Muhittin. »Die haben dir ja so einiges beigebracht!«
    Nicht minder erregt stand Ömer
wieder auf. »Freunde, versteht mich doch! Ich sage doch nur, dass ich ein
reiches, erfülltes Leben will! Und alles erobern! Begreift ihr das? Seit zehn
Jahren seid ihr meine Freunde, also schaut mich nicht so an! Kann schon sein,
dass ich einen verstiegenen Eindruck mache, aber wenigstens weiß ich, was ich
will! Wir haben nur ein Leben, und das müssen wir gestalten, aber daran denkt
immer keiner!« Er sah Muhittin an. »Bei dir läuft alles aufs Dichten hinaus.
Aber genügt das? Geduld und Poesie … Ist das alles? Du wirst damit zeigen,
wie intelligent du bist. Und wirst warten … Worauf?« Zu Refık gewandt:
»Und du machst es dir im trauten Heim gemütlich. Dagegen sage ich ja auch gar
nichts. Vor allem sage ich nicht, du sollst etwas anderes machen. Aber versteht
ihr mich wenigstens? Vor euren Blicken wird mir nämlich manchmal angst.«
    »Also Angst brauchst du nun wirklich
nicht zu haben vor uns!« sagte Muhittin.
    »Wir sind schon so lange Freunde!«
rief Ömer aus. Er ging auf Muhittin zu. »Komm, lass dich küssen!«
    »Du bist ja wie betrunken!«

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