Cevdet und seine Soehne
abend!«
Die Tante, froh um diese Gelegenheit,
küsste ihn noch schnell auf die Wange, genau an der Stelle, an der ihn früher
auch seine Mutter geküsst hatte. Gehetzt durcheilte Ömer den Garten und bestieg
eine Droschke. Am Bahnhof nahm er sich ein Taxi. Der Gedanke, von Istanbul
wegzumüssen, betrübte ihn, aber dann sagte er sich zum Trost wieder all seine
Pläne vor. Beim Gedanken an die fortwährend strickende Tante und den Onkel, der
nicht nur sonntags, sondern jeden Tag mit seinem Nachbarn Karten spielte, sagte
er sich wieder einmal: »So wie die darf ich nicht werden! Und so wie Refık
auch nicht. Und soviel Geduld wie Muhittin bringe ich ohnehin nicht auf …«
Als das Taxi die Brücke überquerte, dachte er an Nazli. Ihm fiel wieder ein,
worüber sie bei seinem Besuch einen Monat zuvor gesprochen hatten. »Warum ist
sie auf einmal so rot geworden? Hm, sie ist die Tochter eines Abgeordneten. Was
kann wohl ein Abgeordneter einem künftigen Eroberer für Vorteile verschaffen?«
Er stellte sich als Nazlıs
Ehemann und als Schwiegersohn des Abgeordneten vor. Er würde in Ankara einen
Bauauftrag nach dem anderen bekommen und damit furchtbar viel Geld verdienen.
Die Leute würden ihn und seine Frau bewundern, doch hinter seinem Rücken über
ihn lästern: Dieser Ömer kann aber auch gar nicht genug bekommen. Plötzlich
schämte er sich dieser Gedanken. »So ein Blödsinn!« Er musste lachen. Lieber
ging er noch mal durch, was er Tante Cemile wegen des Ladens und des
Grundstücks vorzuschlagen gedachte.
Die Tür wurde ihm von Tante Cemile
geöffnet. Sie empfing Ömer fröhlich wie immer, schalt ihn ein wenig, weil er
nicht schon früher mal gekommen war, und fragte ihn, wie es seinem Onkel und
seiner Tante gehe, ob er trotz des Sonnenscheins unterwegs nicht gefroren habe
und wieviel Zucker er in seinen Mokka wolle. Sie hörte sich Ömers Antworten
aufmerksam an, und bevor sie dann in die Küche ging, um den Mokka zu kochen, da
das Dienstmädchen Ausgang hatte, führte sie über ebenjenes Dienstmädchen noch
ein wenig Klage. Ömer sah ihr dann hinterher und fragte sich: »Nanu, ist Nazli
gar nicht da?«
Beim Kaffee sprachen sie über dieses
und jenes, und auf Cemiles Aufforderung hin erzählte Ömer, wie es um die
Gesundheit von Onkel und Tante bestellt war und wie sie so ihre Tage
herumbrachten. Cemile klagte über ihre eigene Gesundheit. Sie zeigte ihre von
Rheumatismus geplagten rundlichen Arme. Wie Ömer erwartet hatte, entstand dann
irgendwann einmal ein Schweigen. Tante Cemile seufzte tief, und Ömer nützte die
Gelegenheit, um sein Anliegen vorzubringen.
Rasch erzählte er von Kemah und dass
er vor Ablauf eines Jahres eine ziemliche Summe Geld benötigen würde. So bat er
Cemile, ihm beim Verkauf des Ladens, des Grundstücks und des bewussten Hauses
behilflich zu sein.
»Das willst du alles verkaufen?«
staunte sie.
»Noch nicht gleich, aber später.«
»Verkaufen ist keine gute Idee. Mein
Vater selig sagte immer, wenn man erst einmal anfängt, Immobilien zu verkaufen,
ist das der Anfang vom Ende!«
»Aber ich will das Geld ja nicht
verprassen, sondern ganz im Gegenteil anlegen!«
»Keine gute Idee!« murmelte die
Frau. Dann aber versprach sie doch, zu tun, was in ihrer Macht stehe.
Ömer dachte: »Wozu bin ich nur
hierhergekommen? Nie und nimmer wird sie mir helfen. Ich bin hierher …
Obwohl, wer weiß? Sie kennt die Gegend dort gut …«
»Sag mal, Junge, wo ist eigentlich
Kemah?«
»Bei Erzincan.«
»Da ist es aber kalt!«
»Jetzt wird doch bald Sommer!«
»Nimm dir trotzdem warme Sachen
mit!« Dann erzählte sie von einer entfernten Verwandten in Erzurum. Dort sei es
üblich, beim Teetrinken ein riesiges Stück Zucker von Hand zu Hand zu reichen
und abwechselnd daran zu lecken. Dann ging sie in die Küche, um selbst Tee
aufzusetzen.
Ömer sah die aschgraue Katze ins
Zimmer hereinschleichen und stand auf. »Ich gehe weg von Istanbul!« Es befiel
ihn aber nicht die gleiche Melancholie wie zuvor noch im Taxi. Er hatte seine
Schläfrig keit abgeschüttelt und zu seinem Ehrgeiz zurückgefunden. Er musste
ganz einfach ein Eroberer werden! »Es lässt sich so viel anfangen mit diesem
Leben!« Die Katze kam näher und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Dann sprang
sie mit einem Satz auf einen der Sessel, schnupperte am Sitzkissen und rollte
sich schließlich darauf zusammen. »Aber ich gehe von Istanbul weg, ohne das
Leben hier ausgekostet zu haben!« Er ging in dem Salon auf und ab. Es
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