Cevdet und seine Soehne
überkam
ihn wieder der Wunsch, irgend etwas zu zerschlagen. »Pah, was heißt hier
auskosten! Als ich in London war, hielt ich überhaupt nichts von Istanbul!« Er
sah auf den Bosporus hinaus. »Keinen einzigen sehnsuchtsvollen Gedanken habe
ich daran verschwendet, aber jetzt sehe ich, dass es hier Menschen für mich
gibt, Freundschaften, einen vertrauten Geruch, eine Atmosphäre, die mich
lauwarm umschmeichelt!« Daran war schon etwas. Als er vom Fenster auf die
gegenüberliegende Wand zuging, sah er einen Bücherschrank, in dem die Bücher
wild aufeinandergestapelt waren. »Dieses Mädchen zum Beispiel ist hier! Was die
wohl liest?« Er warf einen Blick auf die Katze. »Aber wenn ich hierbleibe, kann
ich auch träge werden. Und ich brauche doch Geld!« Auch daran war etwas. Wieder
schritt er auf das Fenster zu. »Ich muss aus Istanbul weg, um Geld zu
verdienen, aber danach erobere ich die Stadt!« Über Üsküdar waren zwei
Wolkenhaufen. »Vielleicht übertreibe ich es ja auch mit diesem Erobererfimmel,
aus lauter Nachahmungstrieb? Es wird doch nicht lauter Unsinn sein, was ich da
in Europa aufgeschnappt habe?« Auf dem Weg zurück zur Wand dachte er: »Ach was!
In mir steckt eben Leidenschaft! Ich bin nicht wie die anderen! Ich habe
Courage! Wo bleibt nur diese Frau?« Da hörte er Schritte und ging zurück zu
seinem Stuhl. »Sie bringt den Tee!« Versonnen wandte er den Kopf zur Tür: »Ach
du bist das, Nazli!«
»Entschuldige, aber ich konnte nicht
eher weg. Ich gebe der Nachbarstochter Englischunterricht.«
Ömer sah sie leicht erröten und
sagte lächelnd: »Aber ich bitte dich! So, du unterrichtest also Englisch?«
»Du bist wohl schon ungeduldig
geworden, was?«
Ömer, dem nun erst auffiel, wie hochgewachsen
das Mädchen war, sagte nur: »Ich gehe in drei Tagen aus Istanbul weg!«
»Tatsächlich? Wohin denn?«
»Nach Kemah!«
Nazli nahm die Katze auf den Schoß
und setzte sich in den Sessel. »In den Osten also?«
»Soll ich dir wie Montesquieu aus dem
Osten Briefe schicken?« entfuhr es Ömer. Dann stutzte er. »Nein, ich glaube,
das waren Briefe aus Persien. Halt, das war es auch nicht. Ach ja, Briefe von
einem Perser … Hast du die gelesen?«
»Ja!« Sie ließ sich nichts anmerken.
»Du liest wohl viel?« In einer
plötzlichen Anwandlung stand er auf und rief: »Ich glaube eher, dass man viel
leben sollte!« Sogleich kam er sich vor wie ein dummer Junge.
»Ja, du bist ja auch ein Mann!«
Da kam die Tante wieder herein. An
dem Gespräch der beiden jungen Leute musste sie wohl etwas Bewundernswertes
finden, denn sie setzte sich gleich still in ein Eckchen, sichtlich bemüht, von
ihrer Anwesenheit kein Aufhebens zu machen. Dennoch wusste Ömer genau, dass sie
sich kein Wort würde entgehen lassen.
»Du hast recht, ich weiß natürlich,
dass du es viel schwerer hast. Frauen wird das Leben hier zur Hölle gemacht.
Euer Leben gleicht einem Hausarrest!« Er vermied es dabei, Cemile anzusehen.
»So schlimm ist es auch wieder
nicht. Man kann diese Grenzen ja auch sprengen!« erwiderte Nazli.
Ömer dachte: »Wie klug sie ist! Sie
hat Charakter … Und wie sie das gesagt hat: ›Man kann diese Grenzen ja
auch sprengen!‹ Das kommt nicht jeder über die Lippen! Und noch dazu ist sie
richtig lieb.« Er kam sich gleich ganz banal vor.
»Und es gibt ja jetzt so viele
Reformen bei uns!« sagte Nazli. »In mancher Hinsicht sind wir den anderen schon
voraus!«
»Stimmt!«
»Ich glaube, du verachtest diese
Reformen!«
Ȇberhaupt nicht! Glaub nur das nicht!
Es ist nur so, dass mein Ehrgeiz –«
»Wie redest du denn mit unserem
Besuch!« tadelte Cemile ihre Nichte.
Ömer rief aus: »Ich sehe mich als
Eroberer!«
Darauf sagte Cemile: »Als Sultan
Mehmet Istanbul erobert hat, war er noch jünger als du! Aber ihr seht beide
gleich gut aus!« Anerkennend klopfte sie auf den Tisch.
Ömer fürchtete, das Niveau der
Unterhaltung würde noch weiter herabsinken. »Ja, sie ist klug und lieb!« dachte
er. Er wollte nicht mehr weiterreden, sondern nur noch seinen Tee fertigtrinken
und aus dem Haus kommen.
»Jetzt seid ihr so große junge Leute
und redet schrecklich vernünftig daher, aber ich kenne euch noch, wie ihr so
klein wart!« sagte Cemile lachend. Sie erzählte eine Anekdote aus Nazlis
Kindheit, und als sie gerade zu einer neuen ansetzen wollte, wurde es Nazli zu
bunt.
»Ach Tante, das brauchst du doch
nicht jedem zu erzählen!«
»Ömer ist schließlich nicht jeder!
Na ja, schon gut, ich bringe
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