Cevdet und seine Soehne
leisten können! Alles!« Er hielt inne, als sei
er über sich selbst erschrocken. »Du siehst mich ja so spöttisch an. Findest
mich fiebrig, was? Aber stimmt ja, ich bin fiebrig!« Er stellte sein Teeglas
auf einem Tischchen ab und begann mit den Händen herumzufuchteln, als hätte er
ohne sie sein Herz nicht ausschütten können. Doch musste er darüber selber
schmunzeln. »Stimmt, ich bin nervös momentan. Aber ich habe einfach Angst, mich
von der verschnarchten Familiengemütlichkeit, die ich hier in Istanbul erlebe,
genauso wie die anderen einlullen zu lassen!« Er sah zu Refık. »Das ist
jetzt nicht auf dich gemünzt! Aber wenn ich mich auf so etwas einlasse, dann
kann ich mir gleich Pantoffeln anziehen und ein stinkgewöhnliches Leben
anfangen!« Während er das sagte, versicherte er sich aus dem Augenwinkel, dass
Refık Schuhe und nicht etwa Pantoffeln an den Füßen hatte. »Dabei habe ich
so unendlich vieles vor! Ich möchte ein reiches, erfülltes Leben führen. Von
wem stammt das noch mal? Ein reiches Leben führen und dabei tatsächlich reich werden
und mir alles leisten können!« Als habe er es auswendig gelernt, leierte er
dann herunter: »Ich will Frauen haben, Geld, von allen bewundert werden!« Dann
nahm er sein Teeglas wieder an sich und setzte sich an seinen Platz zurück.
»Und warum verachtest du das
Gedichteschreiben so?«
»Weil es so etwas Stilles ist. Was
kannst du mit einem Gedicht schon erreichen, was kannst du ins Wanken bringen?
Nichts als geduldig abwarten kannst du. Geduld bringt Rosen! Das haben sie uns
immer beigebracht. Aber ich habe gelernt, mich davon zu lösen. Glaub nur ja
denen nicht, die dir Geduld predigen! Ich jedenfalls glaube nur noch an mich
selbst!«
»Na ja, besonders neue Gedanken sind
das nicht«, sagte Muhittin.
»Du kennst sie wahrscheinlich aus Büchern
heraus! Ich habe nicht soviel gelesen wie du, aber ich weiß, was ich weiß! Wäre
ich auf solche Sachen in Büchern gestoßen, hätte ich wohl gesagt, das ist
Theorie und weiter nichts. Aber bei mir ist das nichts Angelesenes, sondern
Erlebtes! Und es bedeutet mir alles!«
»Ich verstehe schon, was du meinst«,
sagte Muhittin, »aber es gefällt mir nicht so recht. Wo willst du denn hin mit
deinem ganzen Ehrgeiz?«
»So ganz genau weiß ich es auch noch
nicht. Aber ich will einfach in diese Richtung gehen.« Zu Refık sagte er:
»Sag mal, wieso trinken wir hier eigentlich Tee und keinen Alkohol?«
»Soll ich dir den Likör also doch
bringen?«
»Ach nein! Muhittin, du meinst also,
ich verrenne mich da?« Er stand wieder auf und ging im Zimmer umher.
»Ja, schon«, erwiderte Muhittin.
Doch als er Ömer so in voller Lebensgröße vor sich stehen sah, setzte er hinzu:
»Ach, ich weiß auch nicht!«
Ömers Statur schien zu besagen:
»Schaut doch nur, wie gutaussehend und intelligent ich bin! Kann einem wie mir
etwas zustoßen?«
Sie schwiegen. Muhittin stand auf
und schenkte sich Tee nach. Schließlich fragte Ömer Refık, was es für neue
Buchhandlungen gebe. Muhittin berichtete von einem neuen Dichter namens Cahit Sıtkı, den er aus Galatasaray und aus den Kneipen in
Beşiktaş kenne. Es sei ein
schüchterner Mann mit eher unansehnlichen Gesichtszügen, aber von dem
Schriftsteller Peyami Safa sei er hochgejubelt worden. Muhittin sagte, mit
anderen jungen Dichtern sei er kaum bekannt, da er für die Kneipen in
Beyoğlu, wo sie vornehmlich verkehrten, nichts übrig habe. So sprachen sie dann
darüber, wie sehr sich jenes Viertel in den letzten vier Jahren verändert habe,
aber mit ihren Worten und Gesten ließ sich nicht verbergen, dass sie nicht bei
der Sache waren und eigentlich immer noch dem vorherigen Thema nachhingen. Das
Gespräch über Beyoğlu, die Läden dort und das sich wandelnde Istanbul
dauerte eine ganze Weile an, hinterließ aber keinerlei Spur.
Als wieder Stille eintrat, blickte
Muhittin sinnierend auf den Zigarettenrauch, den er ausbließ, und sagte
schließlich: »So siehst du das also …«
»Ja. Ich finde, so und nicht anders
sollte man leben!« erwiderte Ömer. »Man muss sich grundsätzlich einem
gewöhnlichen Leben und jeder Art von Gewöhnlichkeit entgegenstemmen. Aber das
genügt noch nicht. Man muss auch von sich reden machen. Und alles erobern! Ach,
ich sage immer das gleiche!« Er schien sich quasi dafür zu entschuldigen, dass
er so unwiderlegbare Gedanken vorbrachte. »Die Verlockungen alltäglicher
Banalität, das kleine Glück: Genau davor muss man sich hüten!« Wieder
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