Chalions Fluch
dazugehörigen Ritterordens hatten ihren eigenen Eingang, ihr eigenes Gebäude und ihren eigenen Stall für die Pferde der Kuriere. Die Flure des militärischen Hauptquartiers waren kühl, trotz der vielen brennenden Wandleuchter und der Fülle von Wandteppichen und Vorhängen, die von frommen Damen aus ganz Chalion gewebt und bestickt worden waren und die Wände bedeckten. Cazaril hielt auf die Haupthalle zu, doch Palli zog ihn einen anderen Gang entlang und eine Treppe hinauf.
»Eure Zusammenkunft findet nicht im Kapitelsaal statt?«, fragte Cazaril und blickte über die Schulter.
Palli schüttelte den Kopf. »Zu kalt, zu groß und zu leer. Wir fühlten uns dort ungeschützt. Für unsere vertraulichen Debatten und Anhörungen haben wir einen Raum ausgesucht, wo wir uns als Mehrheit fühlen können und uns nicht die Füße abfrieren.«
Palli ließ die Dy-Gura-Brüder im Flur zurück, wo sie die farbenfrohe, gesteppte Darstellung der Legende von der Jungfrau und dem Wasserkrug betrachten konnten, die eine besonders sinnliche Jungfrau und Göttin zeigte. Er führte Cazaril an zwei Wachposten der Tochter vorbei, die sich ihre Gesichter genau anschauten und Pallis Gruß erwiderten; dann ging es durch eine Folge zweiflügeliger Türen, die mit ineinander verwobenen Weinranken beschnitzt waren. Im Raum dahinter befanden sich ein langer, auf Böcke gestellter Tisch sowie zwei Dutzend Männer. Der Raum war überfüllt, aber warm – und vor allem war es hier ungestört. Außer den Wachskerzen kämpfte ein Fenster aus Buntglas, das die bevorzugten Frühlingsblumen der Herrin zeigte, gegen die winterliche Düsternis.
Pallis Mitbrüder saßen aufmerksam da, junge Männer und Graubärte, in blauen und weißen Gewändern, die entweder hell und teuer oder ausgebleicht und abgetragen waren, doch alle waren vereint durch eine grimmige Entschlossenheit, die sich auf ihren Gesichtern spiegelte. Der Herzog von Yarrin, der höchste anwesende Adlige, saß am Kopf des Tisches unterhalb des Fensters. Cazaril fragte sich, wie viele Personen in diesem Raum Spione waren, oder zumindest allzu redselig. Die Versammlung wirkte bereits zu groß und bunt gemischt für eine erfolgreiche Verschwörung, trotz aller äußeren Vorsichtsmaßnahmen, mit denen sie versucht hatten, ihre Treffen geheim und vertraulich zu halten. Herrin, schenke ihnen Weisheit.
Palli verbeugte sich und verkündete: »Meine Herren, hier ist der Kastellan dy Cazaril, der bei der Belagerung von Gotorget mein Befehlshaber war. Er wird vor euch aussagen.«
Palli ging halb um den Tisch herum zu einem freien Platz. Cazaril blieb davor stehen. Ein anderer Kapitelherr ließ ihn einen Eid auf den Namen der Göttin ablegen. Cazaril hatte keine Schwierigkeiten, mit großer Ernsthaftigkeit und Inbrunst jenen Teil des Eids zu wiederholen, der lautete: Mögen Ihre Hände mich halten und niemals loslassen.
Dy Yarrin leitete die Befragung. Er war sehr geschickt und offenbar von Palli gut vorbereitet, denn es kostete ihn nur ein paar Minuten, bis er Cazaril die gesamte Geschichte über die Folgen von Gotorget hatte erzählen lassen. Cazaril sparte sich die farbigen Einzelheiten; bei einigen Anwesenden war deren Erwähnung auch gar nicht nötig: Cazaril konnte es an ihren Mienen und den schmalen Lippen ablesen. Doch es war unvermeidlich, dass jemand die Frage aufwarf, wie seine Feindschaft mit Lord Dondo ursprünglich begonnen hatte. Widerstrebend sah Cazaril sich genötigt, die Geschichte von seiner Beinahe-Enthauptung im Zelt des Fürsten Olus zu wiederholen. Normalerweise galt es als ungehörig, Tote zu verunglimpfen, weil diese sich nicht mehr zur Wehr setzen konnten, wie allgemein vermutet wurde. In Dondos Fall war Cazaril sich da aber nicht so sicher.
Trotzdem hielt er diesen Bericht ebenfalls so knapp und trocken wie möglich. Doch trotz aller Kürze: Als Cazaril fertig war, fühlte er sich gefährlich benommen.
Es folgte eine kurze Diskussion darüber, wie man erhärtende Beweise herbeischaffen könne. Cazaril hatte dieses Problem für unüberwindbar gehalten; dy Yarrin schien diese Ansicht jedoch nicht zu teilen. Aber Cazaril hatte auch niemals daran gedacht, Aussagen überlebender Roknari zu bekommen, oder von Schwesterkapiteln des Ordens der Tochter jenseits der Grenzen in den Fürstentümern.
»Aber meine Herren«, warf Cazaril zaghaft ein, als es eine der wenigen kurzen Unterbrechungen im Strom der Vorschläge und Einwände gab, »selbst wenn meine Worte dutzendfach
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