Chalions Fluch
eine gute Nacht. Die Prinzessin bedachte ihn mit einem abwesenden Nicken. Betriz musterte ihn mit gequältem Blick und deutete einen Knicks an.
»Halt!«, rief Iselle unvermittelt, als er schon die Tür erreicht hatte. Er fuhr herum, und sie sprang vom Stuhl auf, schritt auf ihn zu und ergriff ihn an beiden Händen. »Ihr seid zu groß. Beugt Euer Haupt«, befahl sie.
Er zog den Kopf ein, und sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Überrascht bemerkte er, wie ihre jungen Lippen ihm einen festen Kuss auf die Stirn drückten, und anschließend auf beide Handrücken, die sie dann an den Mund hob. Schließlich sank sie zu Boden, begleitet vom Rascheln parfümierter Seide. Während Cazaril den Mund öffnete, um zu protestieren, drückte sie ihm einen Kuss auf die bestiefelten Füße.
»So«, verkündete Iselle, stand auf und hob das Kinn. »Nun könnt Ihr gehen.«
Tränen liefen über Betriz’ Gesicht. Cazaril war zu aufgewühlt, um etwas zu sagen. Er verbeugte sich tief und floh zu seinem Bett.
19
A
m nächsten Tag war der Zangre von einer unheimlichen Ruhe erfüllt. Nach Dondos Tod war der Hof besorgt gewesen, zugleich aber auch aufgeregt und erfüllt von Klatsch und heimlichem Geflüster. Nun war selbst das Geflüster verstummt. Alle, die keine unmittelbaren Verpflichtungen hatten, blieben fern, und wer unvermeidbare Aufgaben zu erledigen hatte, kam diesen in hastiger, ängstlicher Stille nach.
Iselle und Betriz verbrachten den Tag in Ias’ Turm, wo sie Sara und Orico Gesellschaft leisteten. Zur Morgendämmerung beaufsichtigten Cazaril und der grimmige Majordomus die Einäscherung der Tiere und das Begräbnis ihrer Überreste. Den Rest des Tages verbrachte Cazaril abwechselnd mit kläglichen Versuchen, sich um die Unordnung auf seinem Schreibpult zu kümmern, und mit Fußmärschen hinunter zum Siechenhaus des Tempels. Umegat lag unverändert da, grau und schwer atmend. Nach dem zweiten Besuch machte Cazaril im Tempel selbst Halt und betete, am Boden ausgestreckt und flüsternd, der Reihe nach vor allen fünf Schreinen. Wenn er tatsächlich mit dieser Heiligkeits-Krankheit angesteckt war – warum sollte das nicht auch zu etwas gut sein?
Die Götter gewähren Wunder nicht für unsere Ziele, sondern für ihre eigenen, hatte Umegat gesagt. Stimmte das? Cazaril war der Ansicht, dass der Handel in beide Richtungen laufen sollte. Wenn die Menschen den Göttern ihren Willen nicht mehr für deren Wunder öffneten – was, bitte schön, sollten die Götter dagegen tun?
Lange Zeit blieb Cazaril vor dem Altar der Frühlingsherrin liegen, brachte dort aber kein Wort hervor. Nicht einmal seine Lippen bewegten sich. Doch ob geschwätzig oder schweigend – die Götter begegneten ihm stets mit derselben ausdruckslosen Stille, fünf Mal hintereinander an allen fünf Schreinen.
Auf dem Rückweg den Hügel hinauf begegnete er dy Joal und einem weiteren von Dondos Handlangern, die zum Palais der Jironals unterwegs waren. Cazaril erinnerte sich an Pallis Warnung, nicht alleine unterwegs zu sein. Dy Joals Hand umklammerte den Griff seines Schwertes, doch er zog nicht blank. Sie nickten einander wachsam zu und machten einen weiten Bogen umeinander.
Zurück in seinem Arbeitszimmer, rieb Cazaril sich die schmerzende Stirn und wandte seine Gedanken wieder Iselles Heirat zu. Bergon von Ibra also. Der Junge war so gut wie jeder andere, ja, besser als die meisten, vermutete Cazaril. Doch der Aufruhr am Hof von Chalion machte offene Verhandlungen unmöglich. Sie brauchten einen geheimen Gesandten, und das bald. Cazaril ging in Gedanken sämtliche Höflinge durch, die er einer solch diplomatischen Mission für fähig erachtete, vertraute jedoch keinem. Als er die viel kürzere Liste jener Männer durchging, denen er auf jeden Fall trauen konnte, entdeckte er keinen erfahrenen Diplomaten darunter. Umegat war niedergestreckt worden. Der Erzprälat konnte nicht insgeheim die Stadt verlassen. Und Palli? Der Graf dy Palliar hatte zumindest den Rang, um in Ibra Respekt einzufordern. Cazaril versuchte sich vorzustellen, wie der ehrliche Palli mit dem Fuchs von Ibra die Feinheiten von Iselles Ehevertrag aushandelte. Er seufzte. Vielleicht, wenn Palli mit einer detaillierten Liste mit Anweisungen versehen wurde …?
Ja, das muss reichen. Er würde Palli morgen darauf ansprechen.
Vor dem Schlafengehen betete Cazaril auf den Knien, diesmal vor dem Albtraum verschont zu bleiben, der sich in den letzten drei Nächten
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