Chalions Fluch
räusperte sich. »Die Straße nach Valenda und die Straße nach Cardegoss verlaufen anfangs zusammen. Wir könnten erst einmal vorgeben, dass wir nach Valenda marschieren, aber dann an der Gabelung nach Cardegoss vorstoßen.«
»Wem gegenüber sollen wir das vorgeben?«
»So ziemlich jedem. Dann werden sämtliche Spione, die dy Jironal in unserer Mitte hat, ihn in die falsche Richtung rennen lassen.«
Ja, tatsächlich – das war der Sohn des Fuchses von Ibra. Cazaril nickte zustimmend.
Iselle dachte kurz nach; dann blickte sie besorgt drein. »Das geht nur, wenn die Männer meines Onkels uns folgen.«
»Wenn wir vorangehen, werden sie keine Wahl haben, als uns zu folgen.«
»Ich will einen Krieg vermeiden, nicht anfangen«, sagte Iselle.
Bergon erwiderte: »Dann macht es Sinn, nicht zu einer Stadt zu marschieren, in der es von Truppen des Kanzlers wimmelt – meinst du nicht?«
Iselle lächelte mit Tränen in den Augen, beugte sich vor und küsste ihn zu seinem Erstaunen auf die Wange. »Wir werden beide bis morgen darüber nachdenken«, verkündete sie. »Cazaril, bringt den Brief an Orico trotzdem auf den Weg, als wollten wir hier in Taryoon bleiben. Vielleicht sind wir auf der Straße schneller unterwegs als das Schreiben und überbringen es selbst.«
Mit Hilfe dy Baocias und des Erzprälaten fand Cazaril viele eifrige Freiwillige in der Stadt und im Tem pel, die den Brief der Prinzessin nach Cardegoss ü berbringen wollten. Die Menschen schienen sich um das königliche Paar zu scharen. Wer die Hochzeit selbst versäumt hatte, strömte nun für die morgigen Festlichkeiten zum Tag der Tochter in die Stadt. All die Jugend und Schönheit wirkte wie ein machtvoller Talisman auf die Herzen der Menschen. Die Jahreszeit der Erneuerung, die der Frühlingsherrin geweiht war, wurde in hohem Maße mit der bevorstehenden Herrschaft Iselles in Verbindung gebracht. Die Kunst bestand nun darin, die Herrschaft über Chalion auf eine festere Grundlage zu stellen, solange diese Stimmung anhielt, damit sie auch in weniger glücklichen Stunden Bestand haben konnte. Ganz gewiss würde keiner der Augenzeugen hier in Taryoon jemals diese Aufbruchsstimmung vergessen. Sie würde den Menschen stets vor Augen bleiben, auch wenn sie in späteren Zeiten auf eine ältere Iselle und einen älteren Bergon blickten.
Auf diese Weise konnte Cazaril eine Gruppe von einem Dutzend würdevoller Männer überwachen, die zur Nachtzeit, als die meisten Leute zu Bett gingen, in die Sättel ihrer Pferde stiegen. Er überreichte die offiziellen Schreiben einem hohen Geistlichen – einem Edelmann, der in der Kirche des Vaters einen hohen Rang erreicht hatte. Graf dy Sould begleitete sie, als Zeuge und Sprecher für Bergon. Mit klappernden Hufen ritten die Gesandten vom Hof des Tempels, und Palli geleitete Cazaril zurück zum Palast von dy Baocia und wünschte ihm eine gute Nacht.
All die hektischen Aktivitäten des Tages hatten Cazaril abgelenkt. Doch als die Aufregung allmählich abklang und er die Treppe zur Galerie über dem Innenhof hinaufstieg, wurden seine Schritte wieder schwer. Die Last des Fluchs war eine verborgene Bürde, die auch auf all seine strahlenden Hoffnungen drückte. Einst, vor einem Dutzend Jahren, hatte ein jüngerer Orico seine Herrschaft ebenso eifrig und bereitwillig angetreten wie Iselle. Als hätte er geglaubt, er könne den schwarzen Schatten überwinden, wenn er nur genug guten Willen und Tugendhaftigkeit zeigte. Doch alles war schief gegangen …
Es gab ein schlimmeres Schicksal, als Iselles dy Lutez zu werden, dachte Cazaril bei sich. Er könnte Iselles dy Jironal werden … Wie viele Enttäuschungen, wie viel Verfall konnte ein treuer Gefolgsmann ertragen, bevor er den Verstand verlor – wenn er mit ansehen musste, wie quälend langsam die Jugend und Hoffnung dahinschwanden und sich in Alter und Verzweiflung verloren? Und doch hatte Orico lange genug durchgehalten, um der nächsten Generation eine neue Möglichkeit zu geben. Wie ein dem Untergang geweihter kleiner Held, der eine Flut von Kummer zurückhielt und ertrank, während die anderen entkamen.
Cazaril bereitete sich darauf vor, zu Bett zu gehen – und auf die gewohnte nächtliche Heimsuchung –, doch Dondo war überraschend ruhig. War er erschöpft? Musste er erst wieder zu Kräften kommen? Oder wartete er nur?
Trotz dieser heimtückischen Präsenz und der damit verbundenen Drohung schlief Cazaril schließlich ein.
Ein Dienstbote weckte ihn
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