Chalions Fluch
verblüfft. »Ich dachte, du hast mir geglaubt …«
»Der alte dy Yarrin war genauso gerissen wie du. Er hat diesen ganzen Ärger von Anfang an erwartet. Ich hatte ihn gefragt, warum er es für notwendig erachtete, mit so vielen Kriegern in Cardegoss einzureiten. Da flüsterte er mir zu: ›Nein, mein Junge – die sind dazu da, um aus Cardegoss wieder herauszureiten. ‹ Den Scherz habe ich nicht verstanden. Bis heute.« Palli ließ ein bitteres Lachen hören.
»Werdet Ihr … werdet Ihr nicht mehr zurückkehren?«, hauchte Betriz. Sie fuhr sich mit der Hand an den Mund.
»Ich schwöre bei der Göttin …« Palli berührte seine Stirn, seine Lippe, den Nabel und die Leiste. Dann legte er die Hand flach über sein Herz – die fünffache heilige Geste. »Ich werde nicht nach Cardegoss zurückkehren, es sei denn, zu Dondo dy Jironals Begräbnis. Meine Damen …« Er nahm Haltung an und verneigte sich noch einmal. »Caz …« Er griff über das Pult hinweg nach Cazarils Händen und beugte sich vor, um einen Abschiedskuss darauf zu drücken. Rasch erwiderte Cazaril die ehrerbietige Geste. »Lebt wohl.« Palli wandte sich ab und schritt aus dem Gemach.
Kaum hatte er den Raum verlassen, schien dieser plötzlich so sehr zu schrumpfen, als wären es vier Männer gewesen, die soeben gegangen waren. Betriz und Iselle wurden von dieser Leere hineingesogen. Auf Zehenspitzen tippelte Betriz zur Außentür, blickte um die Ecke und verfolgte den Rest seines schwerfälligen Rückzugs den Flur hinunter.
Cazaril nahm seine Schreibfeder wieder auf und spielte nervös mit dem weichen Ende. »Wie viel habt ihr mitbekommen?«, fragte er die Damen.
Betriz schaute sich zu Iselle um und antwortete dann: »Alles, glaube ich. Er hat nicht eben leise gesprochen.« Langsam kam sie durch den Vorraum zurück. Ihre Miene war beunruhigt.
Cazaril suchte nach einer Möglichkeit, die unwillkommenen Zuhörer zur Zurückhaltung zu ermahnen. »Es war die Angelegenheit einer vertraulichen Zusammenkunft eines Ritterordens. Palli hätte außerhalb des Ordenshauses nicht darüber reden dürfen.«
»Aber ist er nicht ein Kapitelherr?«, wandte Iselle ein. »Ein Mitglied dieses Rates? Hat er nicht dieselben Rechte – und die Pflicht! – dazu Stellung zu nehmen, wie jedes andere Ratsmitglied?«
»Ja. Aber … in seinem Eifer und seiner Erregung hat er ernsthafte Anschuldigungen gegen seinen eigenen Großmeister erhoben, und ihm fehlt die Macht, den entsprechenden Beweis zu erbringen.«
Iselle musterte Cazaril eindringlich. »Glaubt Ihr ihm?«
»Es geht nicht darum, ob ich ihm glaube.«
»Aber wenn es stimmt, ist es ein Verbrechen! Nein, schlimmer als ein Verbrechen: Es ist ein Götterfrevel, ein Missbrauch des Vertrauens nicht nur des Königs und der Göttin, sondern auch all derer, die in ihrem Namen Gehorsam geschworen haben!«
Sie erkennt beide Seiten dieses Verbrechens! Gut! Nein, einen Augenblick. »Wir kennen die Beweise nicht. Vielleicht hat die Versammlung sie zu Recht verworfen. Das können wir nicht wissen.«
»Wenn wir selbst die Beweise nicht überprüfen können, aber Graf dy Palliar genau das getan hat – können wir dann nicht einfach dessen Glaubwürdigkeit bewerten und daraus auf die Beweise schließen?«
»Nein«, entgegnete Cazaril mit Bestimmtheit. »Selbst ein gewohnheitsmäßiger Lügner mag von Zeit zu Zeit die Wahrheit sprechen, so wie ein ehrlicher Mann versucht sein kann zu lügen, wenn eine außerordentliche Notlage es erfordert.«
Erschrocken sagte Betriz: »Glaubt Ihr denn, Euer Freund hat gelogen?«
»Weil er mein Freund ist – nein, natürlich nicht! Aber er kann sich getäuscht haben.«
»Das ist alles so undurchschaubar«, bemerkte Iselle entschlossen. »Ich werde zur Göttin um Führung beten.«
Cazaril erinnerte sich an das letzte Mal, als sie so etwas getan hatte, und warf hastig ein: »Für Euch besteht nicht die Notwendigkeit, von so hoher Stelle Rat zu erbitten, Hoheit. Ihr habt versehentlich einem vertraulichen Gespräch gelauscht. Es ist Eure Pflicht, dies nicht weiterzugeben! Weder in Worten, noch in Taten.«
»Aber wenn es der Wahrheit entspricht, dann ist es wichtig. Sehr wichtig, Lord Caz!«
»Wie dem auch sei, Zuneigung oder Abneigung beweisen so wenig wie Hörensagen.«
Iselle runzelte nachdenklich die Stirn. »Es ist wahr, ich mag Lord Dondo nicht. Er verströmt einen merkwürdigen Geruch, und stets hat er warme und feuchte Hände.«
Mit einem Ausdruck des Abscheus fügte Betriz hinzu:
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