Chamäleon-Zauber
sich an. Sie waren knapp ihrem Unglück entgangen. Greife waren sehr wendig im Kampf, und es hätte sein können, daß Trents Magie nicht rechtzeitig Wirkung gezeigt hätte. »Es wollte nur Anweisungen«, sagte Trent. »Da vorne muß wirklich etwas Seltsames vor sich gehen. Es ist besser, wir beeilen uns jetzt. Es wäre ziemlich unangenehm, wenn dort gerade ein teilmenschlicher Kult ein Ritualopfer durchführen sollte.«
Ein Ritualopfer? Bink zeigte mit einem Grollen seine Verwirrung an.
»Sie wissen schon«, sagte Trent grimmig, »ein blutiger Altar, eine schöne Jungfrau…«
»Grrrr!« Bink raste die Fährte entlang.
Schon bald hörten sie ein wahres Tohuwabohu vor sich: Stampfen, Krachen, Brüllen, Quietschen, wieder Krachen… »Klingt eigentlich eher wie eine Schlacht als wie eine Party«, bemerkte Trent. »Ich weiß wirklich nicht, was…«
Da sahen sie es vor sich und blieben erstaunt stehen. In einem großen, unregelmäßigen Kreis stand, die Gesichter kreiseinwärts gerichtet, die verwirrendste Versammlung von Wesen, die sie je auf einmal gesehen hatten: Drachen, Greife, Manticoras, Harpyien, Landschlangen, Trolle, Kobolde, Feen und so viele andere mehr, daß sie sie nicht auf einmal ausmachen konnte. Sogar Menschen waren dabei. Es war keineswegs ein völliges Durcheinander, vielmehr waren alle Wesen grimmig mit eigenen Übungen beschäftigt: Sie stampften auf den Boden auf, schnappten in die Luft, knallten ihre Hufe zusammen und schlugen auf Steine ein. Mitten im Kreis lagen mehrere Wesen, die entweder schon tot waren oder im Sterben lagen und von den anderen nicht beachtet wurden. Bink konnte Blut sehen und riechen, und er hörte, wie sie gepeinigt aufstöhnten. Das hier war wirklich eine Schlacht – aber wo war der Feind? Es war nicht der unsichtbare Riese, denn man sah seine Fußstapfen, die ein Viertel des Kreises ausmachten, ohne den Abschnitt seiner Nachbarn zu betreten.
»Ich dachte immer, ich würde etwas von Magie verstehen«, sagte Trent kopfschüttelnd. »Aber das hier übersteigt mein Fassungsvermögen. Diese Wesen sind natürliche Feinde, und doch beachten sie sich gegenseitig nicht und versuchen auch nicht, Beute zu machen. Haben sie sich etwa über einen Loco-Vorrat hergemacht?«
»Wuff!« rief Bink. Er hatte Chamäleon erspäht. Sie hielt zwei große flache Steine in den Händen und starrte wie gebannt zwischen ihnen hindurch. Dann stieß sie sie plötzlich mit lautem Knall gegeneinander. Der Schlag war so heftig, daß sie ihr aus den Händen fielen, worauf sie die Luft anlächelte und sie wieder aufhob.
Trent bemerkte Binks Blick. »Loco!« wiederholte er. Doch Bink konnte kein Loco riechen. »Sie also auch. Es muß wohl ein Ortszauber sein. Wir ziehen uns besser zurück, bevor wir ihm auch noch zum Opfer fallen.«
Sie wollten gerade umkehren, obwohl Bink Chamäleon nur ungern im Stich ließ. Da trabte ein alter Zentaur auf sie zu. »Hängt hier nicht so herum!« bellte er. »Geht in den Nordquadranten.« Er zeigte auf die Stelle, die er meinte. »Wir haben dort schwere Verluste gehabt, und Großfuß kann nicht alles allein machen. Er kann den Gegner ja nicht einmal erkennen. Sie werden jeden Augenblick durchbrechen. Holt euch ein paar Steine. Und benutz bloß nicht dein Schwert, du Trottel!«
»Gegen wen soll ich mein Schwert nicht benutzen?« fragte Trent mit verständlicher Gereiztheit.
»Gegen die Zappler natürlich! Wenn man einen von ihnen entzweischneidet, dann hat man plötzlich zwei Zappler. Ihr…«
»Die Zappler!« sagte Trent atemlos, und Bink knurrte böse.
Der Zentaur schnupperte. »Habt ihr gesoffen?«
»Als Großfuß an dem Bierfaßbaum vorbeikam, hinter dem wir uns versteckt hatten, ist die Rinde geplatzt«, erklärte Trent. »Ich dachte, die Zappler wären ausgerottet worden.«
»Das haben wir alle gedacht«, erwiderte der Zentaur. »Aber hier lebt eine ganze Kolonie von ihnen und gedeiht prächtig. Man muß sie zertrampeln, zerkauen, verbrennen oder ertränken. Wir können uns nicht erlauben, auch nur einen von ihnen entkommen zu
lassen. Und jetzt bewegt euch!«
Trent drehte sich um. »Wo sind die Steine?«
»Hier, ich habe einen Haufen gesammelt.« Der Zentaur zeigte ihnen den Weg. »Ich wußte, daß ich es nicht allein schaffen würde, also habe ich ein paar Irrlichter losgeschickt, um Hilfe herbeizuholen.«
Plötzlich erkannte Bink den Zentauren: das war Herman der Einsiedler, der vor fast einem Jahrzehnt aus der Zentaurengemeinschaft wegen
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