Champagner-Fonds
wenigen Flaschen und verliehen dem Labyrinth den Charakter einer Gruft. Er rannte kopflos hinter Touraine her, dem seine Verwirrung nicht entging. Bald spürte Philipp die Kälte. Dummerweise hatte er seine Daunenjacke im Wagen vergessen, und er wünschte sich, möglichst bald wieder an die Oberfläche zu kommen. Der Aufenthalt versprach unangenehm zu werden.Derart hektisch und orientierungslos war er noch nie durch einen Keller gerannt.
Die Arbeiter mussten hart im Nehmen sein oder gut bezahlt werden, um ganze Arbeitstage in Kälte und Feuchtigkeit abzureißen. So glitzernd die sprühende Champagnerwelt war, so düster, verloren und stumm war es hier unten. Aber es gab Keller, die durchaus ein wenig von der glamourösen Oberfläche mit nach unten nahmen und einen ansprechenden Anblick boten. Dieser hier war aber nicht darauf angelegt, jemals vorgeführt zu werden.
Unter der Decke der Haupttunnel waren, wie bei modernen Seilsystemen, zwei Kabel gespannt, an denen Glühbirnen aufgehängt waren, sodass man an der Stelle, wo es die Arbeit erforderte, Licht zur Verfügung hatte, wenn auch ein schwaches.
Zielstrebig war Touraine vorausgeeilt, bis auch er den Schritt verhielt und sich kurz orientierte. Philipp empfand sein Schweigen als Missachtung. Kein Winzer oder Kellermeister ließ sich die Gelegenheit entgehen, die in seinem Keller liegenden Weine zu erklären. Touraine hingegen wollte die Besichtigung möglichst schnell hinter sich bringen.
Sie passierten künstliche Grotten, die auf ganzer Länge und Höhe mit Champagnerflaschen gefüllt waren. Wie tief, auf welcher Länge die Flaschen hier gestapelt waren, ließ sich nicht überblicken. In Höhe und Breite ließen sich die Flaschen zählen und dann multiplizieren, so kamen pro Reihe etwa sechshundert zusammen, wie viele Reihen davon jedoch hintereinander in der Tiefe der Grotte oder des Tunnels lagerten, ließ sich nur von oben erkennen. Aber dabei verzählte sich Philipp sofort, nichts bot seinem Auge Halt. Waren es vierzig, fünfzig oder sechzig Reihen hintereinander? Die vorderste Reihe war selten komplett, und dort stand die übliche Schiefertafel mit den Daten der hier liegenden Flaschen, dazu kamen einige Kürzel, sicher über Herkunft oder Qualität.
Vor einer mit rostigen Gittern gesicherten Grotte blieb Touraine stehen. »Sie wollten sehen, wo die Flaschen für den deutschen Champagner-Fonds liegen? Hier!« Er wies auf zwei weitere bis unter den Gewölbebogen mit Flaschen gefüllte Tunnel in ihrem Rücken. »Jetzt zufrieden?«
Zufrieden? Nein, eher verwirrt. Wo war der Anhaltspunkt dafür, dass genau hier die Flaschen lagen, die er verkaufen sollte? Nichts wies darauf hin. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, sah er an einigen Stellen aus der endlosen Fläche schwarzgrüner Flaschen etwas wie Karteireiter herausragen.
»Woher weiß ich – woher weiß man«, korrigierte er sich, »dass es sich um die deutschen und nicht um die britischen oder belgischen Flaschen handelt?«
»Sind Sie gekommen, um sich zu informieren, oder sind Sie von der Steueraufsicht?«
»Ich bin hier, um Auskunft zu erhalten.«
»Sollen wir die Flaschen etwa mit Länderfähnchen versehen? Wenn wir sie etikettieren, ist das Papier nach drei Monaten verschimmelt. Ich denke, Sie sind in der Branche tätig?«
»Es wird Bestandslisten geben ...«
»Wollen Sie eine halbe Million Flaschen nachzählen?« Wieder sprach der blanke Hohn aus Touraine, oder er amüsierte sich köstlich.
Philipp starrte auf den Boden, er überlegte, wie er weiter vorgehen wollte, denn egal was er fragte oder zu sehen wünschte, Touraine zog sein Ansinnen ins Lächerliche. Und während er auf den Boden blickte, sah er die Spuren. Es waren Schleifspuren und kaum sichtbare Abdrücke von Reifen, und er blickte sich um, ob einer der Gepäckwagen oder ein Gabelstapler in der Nähe stand. Es war gefegt worden, man hatte versucht, die Spuren zu beseitigen, doch frische Kratzer blieben auf diesem Boden sichtbar. Er betrachtete die Kette an den Gitterstäben und bemerkte Kratzspuren im Rost.
»Die Flaschen liegen hier unten und werden nicht bewegt?«, fragte er, ohne Touraine anzublicken, denn er fürchtete, dass sein Gesicht etwas von seinem Verdacht preisgab.
»Wozu? Damit sie frische Luft schnappen?«
Am liebsten hätte Philipp diese Farce abgebrochen und wäre selbst zum Luftschnappen an die Oberfläche zurückgekehrt. Aber er hatte einen Auftrag.
»Ist hier in jüngster Zeit gearbeitet worden?
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