Champagner-Fonds
Tragödien. Wenn all das nicht trennte, verband es Philipp mit seinen Winzern nur stärker.
»Sie arbeiten für uns – und nicht für die Winzer!« Darauf hatte Langer ihn mehr als einmal hingewiesen, wenn er für »seine« Lieferanten zu viel Verständnis zeigte.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Monsieur«, sagte Madame Louise, »dann schauen Sie ruhig zu. Oder haben Sie sogar eine Lösung für unser Problem?« Sie reichte ihm kurz die feste und gepflegte Hand. Philipp war überrascht, dass sie sich die Fingernägel rot lackierte. Er nickte und versuchte sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen.
Von links wurden die sechseckigen Kästen mit den auf dem Kopf stehenden Champagnerflaschen ans Band gebracht. In dieser Stellung wurden sie zwanzig Sekunden in eine Kühlflüssigkeit getaucht. Dabei gefror nur der Teil des Champagners, in dem sich beim Rütteln die abgestorbenen Hefen abgesetzt hatten. Im Flaschenhals machte das vielleichteinen Zentimeter aus. Jetzt wurde die Flasche gedreht und der Verschluss entfernt. Meist war es ein Kronenkorken und eine Plastikkapsel, bei den Millésimes ein Korken, von einer Eisenspange gehalten. Beim Öffnen drückte die Kohlensäure den im Eispropfen gebundenen Heferest heraus. Kaum stand die Flasche wieder senkrecht auf einer schmalen Schiene und wurde weitergeschoben, senkten sich Düsen über den Flaschenhals und spritzten die Dosage hinein. Dieses Wein-Zucker-Gemisch machte aus dem Champagner einen Brut, einen Sec oder einen Démi-Sec, ganz nach Wunsch des Produzenten. Die meisten Menschen liebten die Süße. Ein Brut Nature oder die Non-Dosage-Champagner waren im Kommen. Sie kamen ohne Zucker aus, es waren Philipps Lieblingsweine.
Metallbügel schoben die Flaschen weiter zum Verkorken. Dazu musste der Kork zusammengepresst werden, um in den Flaschenhals zu passen. Eigentlich war er so dick wie der Teil, der oben herausragte. Aus einem Rohr fiel eine bedruckte Blechscheibe auf den Korken, eine Maschine wand den Draht oben drüber und um den Flaschenhals, im nächsten Arbeitsschritt wurde, entweder von Maschinen oder von Menschen, die Hülse über Kork und Flaschenhals gestülpt. Dann kam die Flasche in die Kiste.
Dieser Prozess war an der Stelle unterbrochen, wo die Dosage zugefügt wurde. Die Experten stritten, ob ein mechanischer oder elektronischer Defekt vorlag. Philipp betrachtete sich unter den Anwesenden keinesfalls als kompetent, in irgendeiner Weise mitzureden. Ein wenig verstand er von der Mechanik, von Elektronik hingegen nichts, und er sah aus der zweiten Reihe zu. Lernen konnte man immer.
Madame Louise hielt es wie er und trat neben ihn. »Selten genug, dass wir die Anlage benutzen«, meinte sie, »aber gerade dann, wenn wir sie brauchen, fällt sie aus.«
»Murphys Gesetz gilt auch in Frankreich«, meinte Philipp, den Madame Dillon-Lescure weit mehr interessierteals fachsimpelnde Monteure. »Was kaputt gehen kann, das geht auch kaputt. Wenn man sich ärgert, wird es noch schlimmer.«
»Ich versuche auch, mich in derartigen Situationen daran zu halten. Manchmal klappt es sogar. Aber jetzt würde ich Sie lieber herumführen, statt auf die Männer aufzupassen. Jeder würde lieber den anderen von seiner Theorie überzeugen, statt den Fehler zu beheben. Sind alle Männer so?« Sie musterte Philipp von der Seite, als frage sie sich, ob er auch so sei.
»In solchen Fällen ziehe ich mich lieber zurück und mache mich unsichtbar. Ansonsten reise ich durch die Welt und suche schöne Weine für ...«, er zögerte. Ja, für wen suchte er sie eigentlich aus? Er hatte für »uns« sagen wollen, aber die persönliche Formel blieb ihm im Mund stecken. Louise Dillon-Lescure bemerkte sein Zögern. »Für France-Import, oder irre ich mich? So wurden Sie angekündigt.«
»Sie haben sich die Website der Firma sicher längst im Internet angesehen?«
Ihr zustimmendes Lächeln war zu charmant, und Philipp bemerkte, wie er Lust zum Flirten bekam. War es das, was man im Mittelalter als »verhexen« bezeichnet hatte? Hier in Moussy vorbeizuschauen war Yves’ Empfehlung gewesen, er hatte den Kontakt vermittelt.
»Yves ist ein angenehmer Mensch«, erklärte Louise Dillon-Lescure, »seine Frau kenne ich auch. Sind Sie schon lange mit ihm befreundet?«
»Seit etlichen Jahren, seit ich in die Champagne komme.«
»Das spricht für Sie.«
Wie sie lächeln konnte. Philipp musste sich zum Weiterreden zwingen. »Ich würde seinen Champagner gern in ... in das
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