Champagner-Fonds
Ebene des Tunnelsystems und stießen rechts vom Lastenfahrstuhl auf den Hauptgang, wo der General ihnen die Anlage erklärte.
»Falls Sie sich verlaufen – halten Sie sich immer an den Uhrzeigersinn, das hat man bei der Anlage der Keller vor zweihundert Jahren auch getan, und halten Sie sich außen. Es gibt einen äußeren Gang, davon zweigen Seitentunnel ab. Im Zentrum kreuzen sich zwei Hauptgänge, aber das Ganze ist – wenn Sie sich eine Uhr vor Augen führen – nach neun Uhr hin verschoben. Wir sind jetzt ungefähr auf sechs Uhr,die Flaschen, die Sie suchen, liegen auf ein Uhr. Kompliziert wird es dadurch, dass nicht alles rechtwinklig angelegt ist, die Schrägen bringen einen durcheinander. Man braucht Zeit, um das System zu begreifen. Sie können das Licht hier unten ein- und ausschalten. Hier, nehmen Sie die Glühbirne, die beiden Drähte hängen Sie oben über das Kabel wie beim Trolleybus, dann haben Sie Licht an der Stelle, an der Sie was untersuchen wollen. Wir vermuten schon lange, dass da was faul ist, wenn einer nicht redet und seine eigenen Leute mitbringt. Keiner weiß, wo die herkommen. Von außen oder oben kann man nicht sehen, ob hier unten Licht brennt, nur vom Kontrollraum aus. Da sind die Sicherungskästen und Hauptschalter. Aber da bin ich. Also dann, viel Spaß.« Der General legte Thomas fast schützend den Arm um die Schultern und zog ihn weg.
Philipp war allein. Die Stille lastete auf ihm wie der Berg aus Kalk und Kreide über ihm. Er hörte nur das Geräusch tropfenden Wassers, als er sich auf die Suche nach »ein Uhr« machte, wie der General gesagt hatte. Dieses Uhrzeigersystem funktionierte nur, wenn man einen Kompass hatte, einen inneren oder einen in der Hand, und immer wusste, wo »sechs Uhr« war. Er dachte an die Klinkerverblendung im Hauptgang und an die schmierige Firnis aus Feuchtigkeit und Penicillinbakterien in den Seitengängen.
Er blickte zurück, um sich die Ansicht des Rückwegs einzuprägen. Auf der linken Seite des Gangs standen mit Flaschen gefüllte Drahtkäfige. Wie urzeitliche Stoßzähne ragte die Gabel eines Staplers aus einer Nische in den langen Gang vor ihm. Da, in der Mitte des Gangs, mussten rechts im Tunnel die Flaschen des Fonds liegen. Es wäre besser gewesen, wenn der General bis hierher mitgekommen wäre. Die Aufschriften auf den Schiefertafeln hatte Philipp sich beim letzten Besuch nicht gemerkt, aber die Grotte mit dem Gitter davor kam ihm bekannt vor. Nur gab es dummerweise weiter hinten weitere Grotten. Er rief Thomas an undwunderte sich, dass er ein Signal bekam. Der General erklärte ihm, dass er genau davor stand, und jetzt sah er die Kratzspuren am Boden. Als er den tief in den Tunnel reichenden Stapel genauer untersuchte, sah er etwas, das ihm beim ersten Besuch nicht aufgefallen war. In einem der Tunnel, der zum Champagner-Fonds gehörte, gab es einen minimalen Höhenunterschied bei den gestapelten Flaschen, eine Art Kante. Waren dort die Leisten, die zwischen den Champagnerflaschen lagen, um ihnen Halt zu geben, dicker? Oder waren es andere Flaschen?
Am Boden lagen dunkle Krümel. Philipp suchte sich einen Drahtkorb, zerrte ihn her und stieg darauf, so ließen sich die Drähte an der Glühbirne einhaken. Er bückte sich nach den Krümeln, zerrieb sie zwischen den Fingern und roch daran. Es war Holz, Sägespäne. Da hatte wohl jemand die Leisten auf die richtige Länge gesägt. Er wechselte zu einem der vergitterten Tunnel, wo alle Flaschen eine gleichmäßige Ebene bildeten. Philipp begann zu fotografieren. Dabei entdeckte er in einem nur zur Hälfte gefüllten Tunnel eine Plane, und darunter lagen Balken und Bretter mit frischen Schnittspuren. Hier hatte jemand gezimmert, aber nirgends fand er das, was dabei entstanden war.
Er hielt eine der Flaschen waagerecht ins Licht. Am Boden hatte sich kaum Hefe gesammelt. Aber den Angaben auf der Schiefertafel nach, die er jetzt entzifferte, sollte der Champagner bereits seit zwei Jahren hier liegen. Da hätten wesentlich mehr abgestorbene Hefebakterien ausfallen müssen. Waren diese Flaschen kürzlich bewegt worden? Bei einem benachbarten Tunnel stieß er auf das gleiche Phänomen. Wer kam auf eine derart idiotische Idee, Champagner, der ruhen sollte, zu bewegen? Unschlüssig, wonach er suchen sollte, schaute Philipp die Flaschen an und trat weiter zurück. Da waren die Schleifspuren. Sie führten von einem der belgischen Tunnel zu dem deutschen. Hatte Touraine nicht erwähnt, dass demnächst
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