Champagner und Stilettos
die Texte konzentrierte, an denen er Monate, wenn nicht Jahre gefeilt hatte. Das zweite Lied war im Nu vorbei, und dann das dritte, und ehe Brooke es sich versah, johlte die Menge vor Begeisterung und rief nach einer Zugabe. Julian sah glücklich aus und etwas verunsichert – er hatte strenge Anweisung, drei Songs in weniger als zwölf Minuten zu spielen –, doch er musste wohl von irgendwem grünes Licht bekommen haben, denn plötzlich lächelte er, nickte und gab noch eine seiner flotteren Nummern zum Besten. Das Publikum tobte.
Als er schließlich den Klavierhocker zurückschob und sich verbeugte, hatte die Atmosphäre im Raum sich verändert. Das Klatschen, Pfeifen und der Jubel waren das eine. Noch mehr aber war es das elektrisierende Gefühl, Zeuge eines großen Augenblicks geworden zu sein, das alle Anwesenden vereinte. Brooke stand eingekeilt von den Bewunderern ihres Mannes da, als Leo auftauchte. Er begrüßte das Haargummi-Mädchen mit Namen – Umi –, aber die verdrehte nur die Augen und kehrte ihm den Rücken zu. Bevor Brooke sich einen Reim darauf machen konnte, packte Leo sie ein bisschen zu fest am Arm und beugte sich so dicht zu ihr, dass sie schon dachte, er wolle sie womöglich küssen.
»Jetzt geht’s los, Brooke. Jetzt geht die Post ab. Das ist erst der Anfang. Das wird der nackte Wahnsinn.«
4
Ein Hoch auf scharfe Frauenmit roten Haaren
»Kaylie, Kind, ich weiß nicht, wie ich es sonst sagen soll: Du brauchst nicht abzunehmen. Schau dir mal diese Statistik an. An dir gibt es nicht das kleinste bisschen auszusetzen.«
»Keine hier sieht wie ich aus.« Sie blickte zu Boden und drehte sich mit düsterer, verkrampfter Miene eine schlaffe braune Haarsträhne um den Finger.
»Wie meinst du das?«, fragte Brooke, obwohl sie sehr wohl wusste, worauf Kaylie hinauswollte.
»Ich … ich bin mir nie zu dick vorgekommen, bis ich hierherkam. An meiner früheren Schule war ich völlig normal, eher dünn sogar! Aber kaum bin ich hier, an dieser supernoblen Privatschule, bin ich plötzlich ein Fettkloß.« Beim letzten Wort brach ihre Stimme, und Brooke hätte sie am liebsten in die Arme genommen.
»Aber das stimmt doch gar nicht! Sechsundfünfzig Kilo bei einer Größe von eins achtundfünfzig sind absolut im grünen Bereich.« Brooke hielt ihr ein laminiertes Faltblatt hin, das die enorme Bandbreite des Normalgewichts aufzeigte, aber das Mädchen warf kaum einen Blick darauf.
Brooke wusste, dass solche Daten nicht besonders tröstlich waren angesichts all der megadünnen Mädchen in Kaylies neunter Klasse. Kaylie war eine Stipendiatin aus der Bronx, die Tochter eines Klimaanlagenmonteurs, der sie allein großzog, nachdem ihre Mutter tödlich verunglückt war. Ihr Vater meinte es sicher nur gut. Er schickte sie auf diese neue Schule, nachdem sie bisher all die Jahre Klassenbeste gewesen war, mit großem Erfolg im Hockeyteam mitspielte und auf der Geige anscheinend weit mehr zu bieten hatte als die meisten ihrer Altersgenossen. Und doch saß seine hübsche und begabte Tochter nun todunglücklich in Brookes Sprechstunde, weil sie glaubte, nicht dazuzugehören.
Kaylie zupfte an ihrem Rocksaum, der auf muskulösen, aber keineswegs zu dicken Schenkeln lag. »Wahrscheinlich hab ich einfach schlechte Gene. Meine Mom hatte auch Übergewicht.«
»Fehlt sie dir sehr?«, fragte Brooke, und Kaylie konnte nur nicken, die Augen voller Tränen.
»Sie hat mir auch immer gesagt, dass ich gerade richtig bin. Ob sie das auch noch sagen würde, wenn sie die Mädchen hier sehen könnte? Die sind perfekt. Die Haare, das Make-up, die Figur – alles perfekt. Sogar die Schuluniform sieht an ihnen perfekt aus, obwohl wir alle haargenau die gleiche tragen.«
Das war eine Seite dieses Jobs, auf die Brooke am wenigsten eingestellt gewesen war, die sie jedoch inzwischen mehr als alles andere daran schätzte – dass sie den Mädchen Ernährungsberaterin und Seelentrösterin zugleich sein musste.
Brooke bemühte sich noch ganze eine Weile, Kaylie davon zu überzeugen, dass ihr Gewicht völlig normal war, auch wenn das Mädchen sich nicht so fühlte. Da sie mit ihrem athletischen Körper kräftiger gebaut war als die meisten ihrer Klassenkameradinnen, war es nicht einfach, die richtigen Argumente zu finden, doch Brooke gab ihr Bestes. Wenn man sie doch nur im Zeitraffer durch die vier Jahre Highschool hindurch direkt aufs College befördern könnte , dachte Brooke. Dann würde ihr aufgehen, dass diese ganze
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