Champagnerwillich: Roman
der Chef seine Unterlagen fallen. Ein Meer aus Blättern flattert durch die Luft, während Herr Besörski mich wieder entgeistert anstarrt. Sein Blick wandert zu meinem Dekolleté.
O mein Gott.
Im nächsten Moment ergreift Vinzenz meinen Arm und zieht mich in den Fahrstuhl hinter uns. Als die Aufzugtüren sich schließen, flattern die letzten Blätter zu Boden. Wir hören dumpf Herrn Besörskis Stimme, die Pamela Berger befiehlt, das Chaos sofort zu beseitigen.
Hhhhe.
Lächelnd zieht Vinzenz mich zu sich heran und blickt mir in die Augen.
»Wir haben es geschafft. Du warst ganz großartig, Jil. Was für ein Rififi!«
Meine Beine zittern, meine Hände glühen. Hhhhe. Ich hyperventiliere. Hhhhe. Ich ersticke. Hhhhe. Ich zucke. KONTROLLE! Hhhhe. Ich brauche Kontrolle.
»Jil. Was ist los? Du hast doch wohl nicht die CD-ROM verloren?«
Keuchend lehne ich mich an die Wand. »Der Fahrstuhl. Bitte. Hhhhe. Halte den Fahrstuhl an. Sofort!«
Vinzenz drückt panisch alle Knöpfe und zieht mich wenige Sekunden später aus dem Aufzug. Wir stolpern über einen Mülleimer und landen unsanft übereinander auf dem Boden.
»Es tut mir Leid, Jil. Ich wusste nicht, dass du unter Platzangst leidest.«
»Schon gut. Immerhin hast du uns vor Schlimmerem gerettet.«
»Das heißt, du hast die CD-ROM noch?«
Ich stütze mich lächelnd auf meine Unterarme, sodass der neugierige Blick von Vinzenz in mein Dekolleté fällt.
15 Uhr. Der Präsentation steht nichts mehr im Wege, und wir haben noch eine ganze Stunde Zeit. Ich beschließe daher, Vinzenz meine Lieblingsstraßen in München zu zeigen.Ich lege den Fokus auf Designerläden in der Innenstadt und beginne mit den Fünf Höfen. Aber Vinzenz scheint nicht wirklich angetan von cappuccinofarbenen Slingbacks und Mon-Chéri-roten Kelly-Bags, die diese süßen kleinen Verschlüsse haben. Also kaufe ich ihm ein paar neue Krawatten. Ohne Hubschraubermotiv! Im Puma-Store entdecken wir gelbe Sneakers und zwei Longsleeves für Vinzenz, die wir kurzerhand für bürotauglich erklären. Danach schlendern wir mit Tüten bepackt über den Viktualienmarkt, während ich große Mühe habe, Vinzenz an den Brez’n und Bierkrügen vorbeizuschieben. Mein Praktikant ist von der bayerischen Esskultur, die ich durchaus skeptisch betrachte, mehr als angetan! Entweder man mag Leberkäs, Schweinshaxe, Kalbslüngerl, auszuzzelte Weißwürst und aufgeschmalzene Brotsuppe, oder man mag sie nicht! Da gibt es keinen Diskussionsspielraum. Und nirgendwo in München ist diese gespaltene Kultur besser zu beobachten als auf dem Viktualienmarkt. Hier liegt der Holzbottich mit Essiggurken und Sauerkraut neben französischem Kaviar. Kohlköpfe und Schwammerln reihen sich an frische Früchte aus den Tropen, und das Dirndl streift die Maßanfertigung von Chanel, während sich Fischgeruch mit edelstem Parfüm vereinigt.
Vinzenz möchte unbedingt Zwetschgendatschi probieren, aber um ihm die ersten Schritte in ein SALKFREIES Leben beibringen zu können, muss ich mit Bananen anfangen. Wie sich herausstellt, ist mein Praktikant sehr experimentierfreudig und extrem lernfähig. Wir kichern so laut, während wir uns das Obst in unterschiedlichster Weise in den Mund schieben, dass der Verkauf von Bananen an diesem Stand rasant steigt.
Hmmm. Ich denke, zu sekundieren könnte zu meiner neuen Lieblingsbeschäftigung werden!
18 Uhr. Die Präsentation war ein voller Erfolg, und ich begebe mich erneut in die Chefetage. Dieses Mal jedoch, um mir ein allumfassendes Lob abzuholen. Ich bin wirklich stolz. Mit erhabenem Gang und erhobenen Hauptes schlendere ich ins Chefbüro. So sieht eine PR-Agentin von Welt aus. Kompetent, selbstsicher, souverän und so etwas von stilvoll gekleidet … Mit einer Geste höchster Lässigkeit lehne ich mich gegen Eckhard P.s Schreibtisch und kontrolliere wie beiläufig den Lack meiner Nägel.
»Herr Besörski, Sie wollten mich sprechen?«
»In der Tat. Frau Schöneberg, Sie sind gefeuert!«
»Ja, ja. Ich weiß. Es lief ganz hervorragend. Moment! Gefeuert?«
»G-E-F-E-U-E-R-T!«
»Aber warum?«
»Wissen Sie, mehr liegt leider nicht in meiner Macht. Wenn ich Sie zum Mond schießen lassen könnte, würde ich es tun.«
»Ich verstehe das nicht. Der Vorstand war doch begeistert?«
»Nun stellen Sie sich mal nicht dümmer, als Sie ohnehin schon sind. Mein Gott, wer hätte gedacht, dass da noch Steigerungen möglich sind? Sie haben eine so ausgezeichnete Präsentation gehalten, weil es MEINE
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