Champagnerwillich: Roman
Natürlich!«
Ich bade mich in ihrer Gefühlsregung aus Respekt und Anerkennung. Früher oder später werden wir ja doch alle Opfer der Hypokrisie des Einzelhandels!
»Und ich hätte gerne noch eine Gravur auf der Rückseite des Zifferblattes.«
»Selbstverständlich. Möchten Sie in der Zwischenzeit vielleicht einen Kaffee oder ein Glas Prosecco? Ich könnte Sie auch mit unserem Juwelierclub für exklusive Kunden vertraut machen.«
»Warum nicht!«
Zwei Gläser Prosecco, einen Milchkaffee, eine silberne Juweliermitgliedskarte, eine gravierte Herrenuhr und ein leeres Bankkonto später verlasse ich das Geschäft.
»Auf Wiedersehen, Frau Malve«, rutscht es mir heraus, als ich höchst zufrieden den Juwelier verlasse. Aber die Verkäuferin lächelt mich nur entzückt an, als wolle sie mir sagen: »Wenn Sie nur kräftig von Ihrer Juweliermitgliedskarte Gebrauch machen, können Sie mich nennen, wie Sie wollen!«
Das ist das beste Geburtstagsgeschenk, das ich je gekauft habe, denke ich mir, als ich mich durch die Touristengruppen auf dem Odeonsplatz dränge und nach einer verrückten Blondine mit Reiseführerschriftzug auf der Brust und neongelber Gruppenerkennungsfahne in der Hand Ausschau halte. Trotz meiner konstanten Kurzsichtigkeit und meines omnipräsenten Orientierungsverlustes entdecke ich Luisa sofort, wie sie mit großen Worten und umschweifenden Handbewegungen die staunenden Blicke der Touristen lenkt. Ich versuche mich möglichst unauffällig unter die Reisegruppezu mischen. Dieses Unterfangen stellt sich jedoch in einem feuerroten Alexander-McQueen-Kleid unter zwanzig Japanern in schwarzen Anzügen als höchst schwierig heraus!
» Und hier sehen Sie die Theatinerkirche, in italienischem Hochbarock errichtet und im Rokoko vollendet … Jil! Was machst du denn hier?« Erstaunt sieht mich Luisa an. Und zwanzig weitere Japaner.
»Ich wollte nur schnell sehen, wie es dir geht.«
» Die vollblütige Kuppel und die Türme mit den wulstigen Voluten sind ein Wahrzeichen Münchens … na ja, ich sage mal so, ich lerne die Stadt kennen … in der Fürstengruft sind 25 Mitglieder des Hauses Wittelsbach beigesetzt … und ich kann diesen Japanern eh erzählen, was ich will, da sie mich so oder so nicht verstehen.«
Wir blicken in lächelnde Gesichter.
»Lass mir dir doch bitte ein bisschen Geld geben.« Hmmm. Wie hoch stehen eigentlich die Chancen, eine gravierte Herrenuhr umzutauschen? Muss mir wohl etwas wirklich Überzeugendes ausdenken, aber ich habe auch schon ein strassbesetztes Chiffonkleid von Chloé umtauschen lassen, an dem kein Strasssteinchen mehr zu sehen war.
» Breit gelagert, dennoch vertikal betont, mithin voller schwingender Spannung ist diese Fassade reich, rhythmisch und scharfkantig gegliedert … Jil, ich habe eh schon genug Probleme. Ich möchte wenigstens meine Finanzen im Griff haben.«
»Was hast du nicht im Griff?«
» Im Innenraum finden wir ein hohes, tonnengewölbtes Mittelschiff mit überkuppelten Seitenkapellen … ach, es gibt da vielleicht jemanden, an den ich vielleicht ein kleines bisschen zu oft denke, aber die Person ahnt nicht mal etwas davon. Ich selbst hätte nicht im Traum daran gedacht, dass es einmal so weit kommen würde. Und außerdem gibt es danoch eine andere Person, die ich damit ganz sicher verletzen würde.«
»Luisa, lass dir bitte von niemandem das Gefühl geben, du hättest nicht verdient, was du willst.«
» Das Altarbild der thronenden Madonna stammt von dem Rubens-Schüler de Crayer … das ist alles etwas komplizierter, und in Wahrheit habe ich eh keine Aussicht auf Erfolg.«
»Ach Süße, du weißt doch, die Wahrheit hat meist wenig mit der Realität gemein.«
»Dals stillimmt«, strahlt ein Japaner. »Sil halben weise Fleundin. Dalf ilch Folto von Fleundin machen?«
Keine zwei Sekunden später blitzt es, und die Kamera lichtet zwei verdutzte Fleundinnen ab.
Gelernte Wörter: Defizient = Dienstunfähiger;
paralysiert = wie gelähmt;
Hypokrisie = Heuchelei.
28
ICH HASSE ÜBERRASCHUNGEN!
H err Schnüttge.«
»Frau Schöneberg.«
»Wie kommt es, dass das Leben immer voller Missverständnisse, Betrug und Ungerechtigkeiten ist?«
»Das liegt wohl daran, dass der Mensch für ein unkompliziertes Leben einfach nicht konzipiert ist.«
»Verstehe.«
Mist! Mit einem riesigen Schlag scheint sich eine Gewitterwolke genau über meinem Auto zu entleeren. Und mein Schirm steht natürlich zu Hause neben der Tür. In einem Smart
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