Champagnerwillich: Roman
Scheidungsgrund ist, dass der Mann mehr Sex in der Ehe hatte als die Frau.«
»Ich verstehe.«
Müde und mit aufgequollenen Augen schleppe ich meinen trägen Körper ins Badezimmer. Ich habe die letzte Nacht so viel geweint wie in meinem ganzen Leben noch nicht. Wahrscheinlich dehydriere ich schon.
Beim Blick in den Spiegel wird mir schlecht.
So sieht also eine Geliebte aus: die Haare strähnig, die Augen dick und rot, die Wangen aufgeweicht und auf den Lippen den Geschmack von Demütigung und Lüge. Wenn doch nur heute nicht der Hochzeitstag meiner Eltern wäre, denke ich und beginne mit der Restaurierung meiner Fassade.
Dreißig Minuten später sehe ich jedoch nicht unbedingt besser aus. Im Gegenteil, jetzt ist mir das Elend live und in Farbe ins Gesicht geschrieben. Na, ist im Grunde auch gleichgültig. Die Welt ist nicht perfekt, warum sollte es da ausgerechnet mein Make-up sein!
Auf dem Weg zu einem Saal nahe der Isar, den ich für die Feier gebucht habe, blicke ich die vornehmen Auffahrtsalleen hinauf zu den edlen Luxusvillen in Bogenhausen und frage mich, ob Sie hier wohl wohnen: die glückliche Cathalina von Ocupenga mit ihrem göttlichen EHEMANN. Langsam macht das alles einen Sinn! Umbauarbeiten im Badezimmer und ein Mann, der es sich leisten kann, wochenlang im Kempinski Hotel Vier Jahreszeiten zu wohnen! Mein Verstand ist anscheinend genauso naiv veranlagt wie mein Herz.
Und dennoch frage ich mich wenig später, ob es eigentlich besser ist, die wissende Geliebte oder die betrogene Ehefrau zu sein? Ich meine, hat Ben sich nicht NACH Cathalina in mich verliebt? Und bin ich damit zweite Wahl oder die neuere Nummer eins?
Hmmm.
Nachdenklich weise ich die Männer des Partyveranstalters nach rechts und links zum Tische aufbauen, Schleifen montieren und Blumengestecke platzieren. Als die Torte mit der Aufschrift »Die Ehe ist unser wertvollstes Gut« in rosa Zuckerguss an mir vorbeigetragen wird, kämpfe ich mit den Tränen.
Jetzt reiß dich zusammen, Jil!
Die nächsten zehn Minuten betrachte ich gedankenverloren das Treiben der Arbeiter. Wo ist eigentlich Tanguy? Dieser dämliche Bruder wollte doch schon vor einer Stunde hier sein. Ich wähle seine Nummer mitzusammengebissenen Zähnen. Doch als Tanguy am anderen Ende abhebt, höre ich erst einmal nur ein Rauschen. Na, wenigstens ist er schon auf dem Weg hierher. Dann meldet er sich endlich.
»Hi, Tanguy. Ich bin’s, deine Schwester. Du erinnerst dich doch sicher? Wie lange brauchst du noch, bis du endlich hier bist?«
»Oh, hi Jil. Gut, dass du anrufst. Hör mal, ich kann heute bei der Feier nicht dabei sein.«
»WAS? Aber das alles war doch deine Idee! Du willst mich doch jetzt nicht hier sitzen lassen?«
»Jil, bitte hör auf rumzuzicken! Ich bin geschäftlich unterwegs. Ich habe heute Abend noch einen wichtigen Termin in Hamburg und muss jetzt wirklich Gas geben, wenn ich noch rechtzeitig da sein möchte.«
»Ich bin also ein wichtiger Termin?«, höre ich eine Frauenstimme im Hintergrund. »Ich werde schon dafür sorgen, dass du nicht zu spät kommst.«
»Halt den Mund!«, zischt Tanguy dazwischen.
»Nimmst du Indira mit nach Hamburg?«
»Ja!«
»Aber du hast sie doch noch nie mit nach Hamburg genommen?«
»Ich brauche sie aber heute Abend bei einem Geschäftsessen. Und zwar sehr dringend!«
»Ich verstehe. Na dann, viel Erfolg«, sage ich und klappe mein Handy zu.
Dieser Idiot!
Warum fragt man eigentlich nie die Kinder, ob sie sich überhaupt ein Brüderchen oder ein Schwesterchen wünschen? Also ich hätte damals definitiv das Kreuzchen bei NEIN gemacht.
Gerade möchte ich das Handy in meine Tasche stecken, als es vor sich hin brummt.
SÜSSE JIL ICH WÜNSCHE MIR NUR EINES LASS MICH MEIN LEBEN AN DICH VERSCHWENDEN LG MARK
Hmmm. Ich weigere mich, diese SMS und jede weitere männliche Aussage in meinem Leben auf ihren Inhalt hin zu überprüfen. Vielleicht sollte ich meinen Mobilfunkvertrag und den Kontakt mit Männern fristlos kündigen.
Na gut. Was steht als Nächstes an? Die Getränkeliste der Bar überprüfen und dabei den Gin Tonic auf seine Verträglichkeit testen. Kleine Stichproben müssen sein. Da mir auch der Wodka nicht ganz koscher vorkommt, nippe ich auch an einem Gläschen von diesem glasklaren Gesöff.
Hmmm. Schmeckt gut. Warm und beruhigend. Als ich über den Rand des Glases gucke, bemerke ich, wie schön der Saal geworden ist. Die Decke zieren weiße und rote Bänder, und ein Meer von roten Luftballons baumelt
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