CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
und wedelte mit der Hand zwischen ihnen hin und her.
»Also schön. Hannah, das hier ist meine verrückte, aber liebenswerte Schwester
Mouna. Und das ist Hannah, eine Freundin.«
»Soso, eine Freundin«,
widerholte Mouna sinnend und Hannah spürte den eindringlichen Blick dunkler
Augen auf sich gerichtet. Unruhig rutschte sie auf dem Stuhl zurück.
»Verrate mir, wie du es
angestellt hast, Hakim aus der Reserve zu locken. Außer meiner Mutter und Umma
lässt mein eigenbrötlerischer Bruder normalerweise kein einziges weibliches
Wesen auch nur in den Dunstkreis seines Lebens treten. Wie hast du das
geschafft?«, fragte sie unverblümt.
»Das reicht, Mouna,
verzieh dich. Bist du nicht gekommen, um das Abendessen für Umma vorzubereiten?«
»Das mache ich gleich«,
erwiderte sie kurzangebunden und streckte Hakim frech die Zunge raus. »Es ist
unhöflich, sich nicht um seinen Besuch zu kümmern.«
Hakim warf ihr einen
wütenden Blick zu. Die alte Dame versuchte die Geschwister zu beruhigen und
legte ihren Arm um Mounas Schultern. »Meine geliebte Enkeltochter, ich denke,
Hannah würde sich als Zeichen unserer Gastfreundschaft über ein Glas Tee
freuen.«
»Na gut«, murmelte
Mouna und sprang enttäuscht auf. »Ich merke, wenn ich unerwünscht bin.« Mit
diesen Worten hob sie ihre Abayah auf und zog sich das bodenlange, dunkelblaue
Gewand über den Kopf. Etwas irritiert sah Hannah ihr dabei zu und verschluckte
sich fast, als darunter eine enganliegende aprikosenfarbene Bluse und eine noch
engere verwaschene Jeans zum Vorschein kamen.
Ihr Blick glitt
zwischen der alten Frau und Mouna hin und her, was dem etwa gleichaltrigen
Mädchen nicht entging. »Umma ist fast blind«, flüsterte sie ihr verschwörerisch
ins Ohr. Kichernd richtete sie sich zu ihrer vollen Größe von geschätzten 1.54 m
auf, den strafenden Blick ihres Bruders ungerührt ignorierend.
»Was? Ich mache unseren
Gast nur mit den Traditionen unserer Familie bekannt.« Völlig unbeeindruckt von
seinem Schnauben wandte sie sich wieder zu Hannah.
»Unsere Familie und
auch Großmutter – wir sehen das alles nicht so verbissen, das wirst du bald
feststellen. Die schwarzen, grauen oder dunkelbraunen, körperlange Jilbabs und
Abayahs tragen wir nur in der Öffentlichkeit. Diese Kleider sollen die
Körperlinien der Frau und damit alle weiblichen Attribute ihrer Figur
verstecken. Aber in Wirklichkeit sind diese Gewänder eine von den Männern
idealisierte und befohlene Kleidervorschrift, um sie selbst vor ihren lüsternen
Wünschen und Ausschreitungen zu schützen.«
»Mouna«, schnitt Hakim
ihr liebenswürdig das Wort ab, »schieb deinen reizenden Hintern in die Küche.
Wenn der Tee fertig ist, wird Umma auch bereit sein. Und dann kannst du Hannah
meinetwegen deine ganzen feministischen Ideen erzählen, sofern sie denn
interessiert ist. Aber jetzt verzieh dich.«
Völlig unbeeindruckt
von der Rüge zuckte Mouna mit den Schultern und zwinkerte Hannah verschwörerisch
zu.
»Hakim, denk daran,
dass du mir versprochen hast, mich morgen zu Riahs Hennatag zu begleiten. Und
bring Hannah mit! Ich bin sicher, dass es ihr gefallen wird. Also dann, bis
gleich.«
Nachdem sich die
Küchentür hinter ihr schloss, durchdrang die melodiöse Stimme der alten Dame die
Stille. »Hannah, setz dich bitte neben mich«, bat sie.
Kurz darauf fühlte
Hannah Azals warme Hände, die sanft den Konturen ihres Gesichtes folgten und ihr
Haar berührten. »Du bist ein außergewöhnlich schönes Mädchen«, murmelte sie.
Dann griff sie nach Hannas rechter Hand und drehte die Handfläche nach oben.
Tastend strich sie mit ihren Fingern über die Linien in der Handmitte. »Unter
welchem Stern bist du geboren, meine Tochter?«, fragte sie leise. Auf Hannas
erstaunten Blick antwortete Hakim an ihrer Stelle.
»Hannah ist Jüdin,
Umma. Sie glauben nicht wie wir an die Sterne.«
»Ja, das dachte ich mir
fast. Ihr Haar ist so viel weicher als unseres. Gut, dann müssen wir es so
versuchen, aber einfach wird es nicht«, murmelte sie. Danach versank sie in
Schweigen. Nur ihre Finger glitten immer wieder tastend über ihre Handfläche.
Gebannt ließ Hannah alles mit sich geschehen, wenn auch mit einem großen
Fragezeichen im Gesicht. Nach Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen,
durchbrach Azal die Stille. »In deiner Brust schlägt ein Herz, das müde ist und
dir das Leben schwer macht. Es will schlafen, weißt du das?«
Beklommen
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