Change
letzter Zeit begangen hatte und in Zukunft wohl noch begehen würde. War dies der menschliche Einfluss? Passte ich mich den fehlerhaften Menschen so sehr an, das ich assimiliert wurde, komplett in ihnen aufging mit allen Schwächen und Gaben? War dies eine der Konsequenzen meiner freien Entscheidung gewesen? Der Preis dafür? Ich war mir unschlüssig, ob ich ihn zahlen konnte - doch ich würde ihn zahlen müssen. Und vielleicht früher als erwartet.
Ähnlich meinem Gespräch mit dem Herrn der Hölle, Luzifer, traf ich auch hin und wieder auf andere Engel, die, getarnt als mehr oder weniger auffällige Menschen, das Gespräch mit mir suchten.
Heute war dies der Erzengel Gabriel. Der in Gestalt eines jugendlichen Mannes auftauchende Engel traf mich an einem eher ungewöhnlichen Ort - auf dem Dach eines Häuserblocks, nicht weit entfernt von der Stelle, an der Aiden noch heute Nachmittag niedergeschlagen worden und anschließend von Mike gefunden worden war. Mittlerweile war die Dunkelheit über die Stadt hereingebrochen, die blassen Sterne strahlten mit den Lichtern des nächtlichen Lebens um die Wette und verloren.
Mein Blick hing nachdenklich an dem Ort fest, an dem Aiden erneuten Kontakt mit seinen Peinigern hatte machen müssen. Mein Mitleid schien sich ins Endlose zu steigern, obwohl Mike ihm geholfen hatte und sich nun um ihn kümmern konnte. Niemand hatte das verdient, was Aiden wegen einer Wette zwischen Himmel und Hölle durchmachen musste. Keiner. Nicht einmal der brutalste Mensch.
„Die Grausamkeit der Menschen kennt keine Grenzen. Schlimmer als jedes Raubtier, nicht war, Michael?“, ertönte Gabriels Stimme hinter mir, während ich weiter in die Tiefe hinab starrte.
„Das stimmt - aber nicht immer und bei allen.“, erwiderte ich ausweichend. Gabriel legte mir von hinten eine Hand auf die Schulter.
Der Engel der Verkündung, der von den Menschen häufig mit der Farbe weiß assoziiert wurde, trug irrationaler Weise dunkelgraue und schwarze Sachen. Vermutlich, um weniger aufzufallen. Doch hier auf dem Dach konnte uns sowieso niemand sehen. Wenn ich es nicht wünschte, übersah man mich einfach - und Gabriel verfügte über die gleiche Gabe.
„Ist es nicht trotzdem eine Tragödie, wie sie miteinander umzugehen pflegen?“, sprach er emotionslos in mein Ohr. Wäre er ein Mensch, hätte ich vielleicht vermutet, er würde mich aufziehen wollen. Doch er war ein Engel - und nicht Luzifer, der gerne andere verspottete - und Sarkasmus war ihm fremd.
„Das beste Beispiel war dieser wehrlose Junge, der vor nicht allzu langer Zeit dort drüben zusammen geschlagen worden war. Und das war nicht das Schlimmste, das ihm passiert ist, das weißt du, Michael.“, erzählte Gabriel weiter, den Blick auf die selbe Stelle gerichtet, an der auch meiner verweilte. Ich wunderte mich nicht darüber, dass er Bescheid wusste. Vielleicht wusste er auch nichts von meinem Werk und hatte das Beispiel zufällig gewählt. Vielleicht war es auch eine Warnung. Ich konnte nur zustimmend nicken, ließ Gabriel weiter sprechen. Es konnte kein Zufall sein, das er hier war. Nicht mehr. Es musste eine tiefere Bedeutung innehaben.
„Aber es gibt andererseits immer Menschen, die sich mit unermüdlicher Kraft für andere einsetzen, nicht wahr? Genauso war es doch auch in diesem Fall.“, spielte der Engel plötzlich auf eine völlig andere Angelegenheit an. Ich stutzte, war mir unsicher, was dies zu bedeuten hatte.
„Was meinst du damit?“, murmelte ich, bückte mich, schüttelte Gabriels Hand ab und sprang, einen letzten Blick auf mögliche Menschen in der Nähe werfend, nach unten in die schmale Gasse, neben den Müllcontainer, neben dem noch immer das getrocknete Blut Aidens zu erkennen war.
Gabriel tat es mir gleich und sprang vom Dach, landete weich und unmenschlich leise neben mir, hielt mich an einem Arm fest, um dafür zu sorgen, dass ich die Gasse nicht verließ, so wie ich es vorgehabt hatte.
„Ich meine damit den Jungen, der sich so aufopfernd um das Opfer der menschlichen Brutalität gekümmert hat. Du weißt, von wem ich spreche.“ Gabriel sah mich eindringlich an, entlockte mir ein resigniertes Aufseufzen. Ich hatte mir schon viele menschliche Angewohnheiten zu Eigen gemacht. Zu viele, konnte man meinen.
„Michael Ishida. Ja, ich weiß von wem du redest. Ich habe es ja gesehen.“, gab ich zögernd zu. Ich hätte mir das Schauspiel auch sparen können, Gabriel würde dennoch Bescheid wissen. Doch ich reagierte
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