Change
auch in dieser Situation menschlich.
„Verwunderlich und höchst anstrebenswert, wie er sich verhält. Er ist eine Ausnahme jeder Regel, so scheint es mir.“, verfolgte Gabriel laut seine Gedanken. Mir wurde mulmig, ich wusste, dass ich vor dem anderen Engel nichts verheimlichen konnte. Und dann würde sich mein Verrat offenbaren. Mein Ende. Doch ich wollte ehrlich sein. Trotz meiner verhängnisvollen Entscheidung.
„Er hätte gar nicht anders handeln können. Denn er ist das, was einem Schutzengel gleichkommen könnte, gäbe es sie wirklich.“, verlor ich mich in verworrenen Vergleichen. Gabriel schwieg, lauschte aufmerksam, ohne eine Reaktion zu zeigen. Vielleicht wäre seine Augenbraue hoch gewandert, wenn er sich angestrengt hätte, die Mimik seines illusorischen Körpers lebendig zu gestalten. Tat er aber nicht. Es war unnütz.
„Michael Ishida soll derjenige sein, der Aiden Jones - der von dir als Opfer betitelte Junge - vor dem Abgrund retten soll.“, erklärte ich, fühlte mich plötzlich wieder bestärkt darin was ich tat, auch wenn ich alles aufs Spiel setzte.
„Aiden Jones? Der Junge, den Luzifer zu quälen und auf die Probe zu stellen erlaubt worden war?“, hakte der andere Engel nach, jetzt tatsächlich mit einem Ausdruck von Verwirrung in den Augen.
„Du spielst mit dem Feuer, Michael. Was hast du damit zu tun? Es ist verboten, sich selbsttätig in irdische Angelegenheiten einzumischen. Und besonders bei diesem Jungen, der reges Interesse vonseiten des Herrn, aber auch vonseiten Luzifer bezieht.“, warnte Gabriel, rief dabei das fatale an der Situation noch einmal hervor. Ich seufzte erneut. Dann straffte ich mich. Gabriel würde ich es erklären müssen. Er musste mir zuhören und verstehen, warum ich mich entschieden hatte, so zu handeln.
„Ja, Aiden ist das Opfer von Luzifer. Deine so genannte Brutalität ist nur von ihm herbeigeführt worden. Nur wegen ihm muss ein wehrloser Mensch leiden. Nur wegen einer Wette zwischen dem Herrn und dem Herrscher der Hölle. Ist das in deinen Augen richtig? Antworte nicht, ich sage dir: Es ist nicht richtig. Ich kann nicht zusehen, wie ein Mensch gebrochen wird wegen solch, für die Menschheit nichtigen Gründen. Deshalb habe ich Mike Ishida gesucht und ihm den Zwang auferlegt, Aiden zu beschützen - vor allem, was ihm wehtun und was ihm gefährlich sein könnte. Und weißt du was? Es war richtig, dies zu tun. Auch wenn ich die Konsequenzen für mich nicht abschätzen kann und mir Luzifers Zorn zuziehe - wenigstens Aiden wird nicht wegen dieser Wette weiter leiden müssen.“, erklärte ich ohne Luft zu holen. Mein angestrebter neutraler Tonfall erhitzte sich ohne mein Zutun, doch es störte mich nicht. Was mich störte, war der zweifelnde Ausdruck auf Gabriels Gesicht.
„Michael! Dir steht es nicht zu, darüber zu urteilen!“, tadelte er mich, Entsetzen auf seinem Gesicht zeigend.
„Ich weiß. Aber ich habe es dennoch getan. Und es reut mich nicht.“, flüsterte ich niedergeschlagen. Gabriel schwieg, vermutlich über meine Taten nachdenkend. Ich konnte von ihm nicht erwarten, dass er nachvollziehen konnte, warum ich dies getan hatte. Noch weniger konnte ich erwarten, dass er mich verstehen würde. Alles, was ich erwartete, war, dass er es akzeptierte.
„Nun, damit hast du dein Ende selbst besiegelt.“, urteilte er ließ mich los. Ich nickte resigniert, plötzlich enttäuscht von mir, von ihm, von der ganzen Welt, vom Himmel und der Hölle gleichsam. Gabriel wandte sich um, betrachtete den dunklen Nachthimmel. Seine Konturen begannen zu verwischen, als ich seine Silhouette betrachtete. Er löste sich mehr und mehr in nichts auf. Die Erde verlassend. Nur seine letzten, an mich gerichteten Worte hallten nach, zeugten von seiner Anwesenheit, als er schon längst nicht mehr in irdischen Bereichen weilte.
„Ich hoffe, das ist es wert. Und ich hoffe, Luzifer möge dir nicht auf die Schliche kommen.“
„Das hoffe ich auch.“, murmelte ich zu mir selbst.
13. Kapitel
September 1993 - Aiden
Das, was ich zuerst registrierte, war die allumfassende Finsternis um mich herum. Sie war beinahe fühlbar, schmeckbar. Es war keine kalte, abweisende Dunkelheit, sondern eine warme, tröstliche, mich einhüllende Düsternis. Ich war fernab von Gefahr, fühlte mich behütet, ja fast schon sicher. Vielleicht hätte ich mir Fragen stellen sollen, mich wundern - doch zu all dem war ich nicht in der Lage. Es schien, als schliefe ein Teil
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