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Chaos Erde

Chaos Erde

Titel: Chaos Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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Anzahl von Papierservietten einzustecken – sahen bemerkenswert gut aus. Sogar umwerfend gut. Beispielsweise das Mädchen in Grau, das gerade aus der vergoldeten Karosse stieg, hinter einer Schauspielerin, die in einem prunkvollen Kostüm des 16. Jahrhunderts auftrat, mitsamt Halskrause, Mieder, Reifrock und allem Drum und Dran, begleitet von jugendlichen Laffen, die über farbenprächtigen Wämsern und hautengen Hosen Umhänge in Pflaumenblau, Grün und Königsblau trugen: das Mädchen, das zweifellos eine Hofdame oder etwas ähnliches spielte, war eine regelrechte Schönheit!
    Flüchtig wunderte es ihn, wie klar er es sehen konnte, obwohl sie sich auf der anderen Seite des Marktplatzes befand (aber Dr. Nulpe hatte erwähnt, er sei von allen Krankheiten geheilt worden, und dazu zählte vermutlich auch Kurzsichtigkeit), und er überlegte, was für eine wundersame Kombination von Genen wohl die goldbraune Haut, das üppige schwarze Haar, derartig zierliche Hände, eine so schlanke Gestalt (soweit sichtbar, doch jedenfalls erspähte Quaddel kein Mieder), den vollendet geformten, roten Mund und die atemberaubenden Augen zustandegebracht haben mochte… Oho-oho…!
    Indem er ein Ächzen unterdrückte, tat er einen Schritt rückwärts. Das Auftauchen der Schönen hatte ihn derartig in den Bann gezogen, daß ihm gar nicht aufgefallen war, sie näherte sich: sie und die Schauspielerin, der sie folgte, kamen schnurstracks auf sein Fenster zu.
    Sofort erhielt er Aufschluß. Dem im allgemein reichlich vernuschelten Geplapper, das Gus in sein Megafon brüllte, konnte er ein paar hilfreiche Angaben entnehmen: die Eingetroffene sollte, wie Quaddel schon vermutet hatte, König Elisabeth von England mit ihrem Hofstaat sein, die höchstpersönlich der Enthauptung ihrer Todfeindin mitanzusehen beabsichtigte, darum hätte das Publikum entweder zu jubeln oder Schmähungen zu rufen, und wenn jemand das mit schottischem Akzent könnte, um so besser.
    Daran war mit Gewißheit nichts authentisch; den Grund hatte Harry genannt. Das jedoch war Quaddel inzwischen einerlei. Er wollte nichts anderes mehr, als seine Augen an dieser bewundernswürdigen, wundervollen, unglaublichen Ballung weiblicher Reize weiden, auf die er ansprach, als hätte irgendwer ihn bis in die hormonale Ebene analysiert und danach systematisch die Bestandteile für ein weibliches Wesen zusammengesucht, dessen bloßer Anblick – und zudem in einem Kleid, das nahezu alles verhüllte – bei ihm sämtliche damit zusammenhängenden Gefühlsreaktionen auslöste…
    Mann! Endlich ein echtes Gefühl. Wenigstens glaube ich, daß das, was ich empfinde, ein echtes Gefühl ist. Oder ist es keins?
    Seine Anwandlung kartesianisch-berkeleyscher Konfusion dauerte immerhin so lange, daß Königin Elisabeth unterdessen einen Lehnstuhl mit hoher Rücklehne erreichte, den man genau vor der Gebäudeattrappe aufgestellt hatte, hinter der Quaddel sich verbarg, und dort, während die Höflinge zahlreiche Bücklinge und Kratzfüße vollführten, Platz nahm. Das Mädchen machte es ihrer Herrin mit Kissen bequem, und da, als Quaddel seinen bis jetzt ausgiebigsten Blick auf das herzzerreißend schöne Gesicht werfen konnte, erkannte er etwas, das er eigentlich gleich hätte bemerken müssen. Einen solchen Gesichtsausdruck dürfte keine so schöne Frau (falls es überhaupt noch eine zweite derartige Schönheit gab) jemals haben. Ihre Miene bezeugte halb Kummer, halb Grauen.
    Am liebsten wäre Quaddel kurzerhand aus seinem Versteck und zu ihr geeilt und auf die Knie gesunken, um ihr die Hände zu küssen und sich auf Lebenszeit dem Anliegen zu verschwören, sie glücklich zu machen, und hätte die Königin dazwischengequatscht, er wäre dazu fähig gewesen, ihr die Meinung zu geigen.
    Da jedoch setzte sein Verstand wieder ein.
    Natürlich. Sie ist Schauspielerin. Das wird die passende Miene für ihre Rolle sein. Vielleicht hat die Königin sie eben erst gekränkt, oder so was. Ich könnte mir denken, daß die alte Schachtel schlechte Laune hat. Mir schwant etwas, als hätte sie Maria Stuarts Hinrichtung nur mit äußerstem Widerstreben befohlen…
    Aber schon früher hatte er selbst an seinen besten Tagen stets nur lückenhafte Kenntnisse der Weltgeschichte gehabt, und heute war zweifelsfrei keiner seiner besten Tage.
     
    Unter der Zuschauermenge breitete sich Schweigen aus. Auf der anderen Seite des Markts holperte nun ein Leiterwagen in Sicht, gezogen von einem Esel, der ohne Zweifel eine

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