Chaos Erde
daß Gäste von derartigen Leuten belästigt werden. Dieses Gesindel macht das nur aus purem Neid. Ich will sagen, würde Multi-Opa die Supernova-Energie nicht nutzen, hätte das doch bloß eine um so größere Zufallsstreuung zur Folge, oder?«
Sie schaute Quaddel an, als ob sie eine Antwort verlangte. Er atmete tief ein und gestand, daß er nicht genau wußte, wovon sie sprach.
»Na, von den Protestlern natürlich, die verbreiten, es wäre unverschämt und ungerecht, wenn Multi-Opa ein Sonnensystem kauft, während die meisten Leute sich nicht mal ‘n Asteroiden leisten können. Aber dahinter steckt doch nichts als Neid. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht?«
Ungeachtet seiner eigenen Auffassung – abgesehen davon, daß er momentan keine feststehende Meinung hatte – hielt Quaddel es für angebracht, nachdrücklich zu nicken, was er dann auch tat, und anschließend trank er einen tüchtigen Zug von seinem Gurgelfetzer. Es handelte sich um einen wirklich sehr guten Drink, mit nichts zu vergleichen, was er schon getrunken hatte. Er trank nochmals, nickte beifällig, und aufgrund der Beobachtung, daß Nixy ihr Glas ohne sichtbare Schädigung geleert hatte – im Gegenteil, das Getränk war ihr bestens bekommen –, trank er auch sein Glas leer.
Die Zeit blieb stehen. Zumindest in seinem Kopf.
Plötzlich fiel sein Blick auf einen Teller, auf dem etwas übelriechendes Fettiges lag. Natürlich wußte er sofort, was es war, doch hatte er gehofft, so etwas niemals wiederzusehen und erst recht nicht mehr verzehren zu müssen. Aber nun marterte der aufdringliche Geruch nicht nur seine Nase, er verursachte ihm auch einen widerwärtigen Geschmack auf der Zunge.
Er langte nach seinem Glas. Es war verschwunden. An seiner Stelle stand jetzt ein flacher Becher voller schwärzlicher Flüssigkeit, auf der eine dicke Fettschicht schwamm. Er erinnerte sich daran, einmal von dem Gesöff einen allzu herzhaften Schluck getrunken zu haben…
Kardek hingegen nagte unter Mißachtung von Messer und Gabel das Fleisch von einem in dickliche grüne Soße getauchten Knochen nach dem anderen, süffelte gelegentlich von seinem Gurgelfetzer, während er angeregt mit Nixy plauderte. Sie wiederum tunkte trotz ihrer erklärten Absicht, nichts essen zu wollen, Brotbrocken in seine Soße – wenigstens nahm Quaddel an, daß es Brot war, obwohl es wie alte, verklebte Ohropax-Klumpen aussah. »Stimmt irgend etwas nicht?« fragte sie Quaddel, nachdem sie das letzte Bröckchen hinunter geschluckt hatte.
»Das habe ich nicht bestellt«, beschwerte sich Quaddel.
»Sicher nicht, aber als Sie Rocky nicht gesagt haben, was Sie wünschen, hat Ihnen das Hotel naturgemäß serviert, was Sie am wahrscheinlichsten bestellt hätten.«
»Was?!«
Nixy wirkte verwirrt. Kardek ergriff die Vorsichtsmaßnahme, seine Finger in eine Elektro-Fingerschale zu tauchen und in einem Warmluftstrom zu trocknen, bevor er seine Flosse auf Nixys Hand legte. »Ich glaube«, sagte er in besänftigendem Tonfall, »der Gurgelfetzer ist schuld, aber mir war nicht klar, daß er noch nie…«
»Was?« Quaddel fühlte sich gräßlich isoliert und von allem ausgeschlossen. Zuvor war ihm die Betäubung seiner Emotionen ärgerlich gewesen; jetzt hätte er die Gefühlshaushaltsverknappung gerne wieder gehabt, denn mit seinem nackten Grausen vermischte sich das ekelhafte Odeur von Teeziegeltee mit ranziger Yak-Butter sowie von Hochalm-Yak-Fleisch und -Knochenmark auf gleichfalls in Yak-Butter gekochtem, zusätzlich jedoch mit einer Überdosis Salz versautem Reis. Selbst wenn seine Vorfahren…
Aber das ist doch gar nicht wahr! Meine Ahnen waren keine Tibeter. Bin ich denn sogar heute meinem Lügenerbe noch nicht entronnen?
Ihm war in diesem Moment nochmals genauso zumute wie unmittelbar nach dem Abtauen, als er gemerkt hatte, daß er sich wieder bei Bewußtsein befand, nur diesmal in voller Stärke.
Um der Geistesklarheit willen versuchte er nachträglich, die Frage Bin ich denn sogar heute meinem Lügenerbe noch nicht entronnen? in Wann werde ich meinem Lügenerbe endlich entrinnen? umzuändern, weil er hoffte, dadurch den Jammer ein wenig zu lindern.
Doch eine große Abhilfe war es nicht.
An seiner Seite erschien der Kellner. »Würde der verehrte tibetische Sir wohl die Güte haben, nachdem unsere aus seiner Abstammungsnomenklatura gezogenen Schlußfolgerungen als mißlich abgeklärt sind, eine alternative Speisenoption in Betracht zu ziehen?«
»Tibetisch?«
Weitere Kostenlose Bücher