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Chaos Erde

Chaos Erde

Titel: Chaos Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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sich auf die höflichsten Weise.
    Blümchen zog ein freundlicheres Gesicht. »Ich bin der Ansicht, daß Swinging London, das London der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, es genauso verdient, zur Rekapitulationszone gemacht zu werden, wie das viktorianische Zeitalter und die Shakespeare-Zeit, die alles sind, was man uns bisher gegönnt hat. Immerhin hätte man dort mehr Spaß und weniger Gestank. Ist das Ihr erster Besuch? Ja? Dann hätten Sie einen hervorragenden Grund für Ihren nächsten Aufenthalt. Sexuelle Freiheit! Hasch! Permissive Gesellschaft!«
    Sie tat alles, um ihrer Stimme einen enthusiastischen Klang zu geben, aber ihr Gesicht widersprach ihren Worten. Außerdem bemühte sich Nixy, Quaddel von ihr fortzuziehen.
    »Ich mag nicht verraten, wer wir sind«, flüsterte Nixy. »Ich will nicht, daß noch mehr von diesen schaurigen Demonstranten aus der Gosse gekrochen kommen.«
    Quaddel seufzte. »Leider wird nichts daraus«, sagte er zu Blümchen.
    »Ich weiß, ich weiß«, meinte das Mädchen trübsinnig, indem es die Petition senkte. »Wenn Sie so was erleben möchten, können Sie’s als Simulation billiger haben. Aber ab und zu« – nun merkte man ihr eine Spur von Trotz an – »begegnet man doch jemandem, der zuviel Geschmack an der Realität findet, um mit Ersatz zufrieden zu sein. Wenn ich zehntausend Daumenabdrücke zusammenkriege, bin ich berechtigt, mich mit der Petition an den Chefbürokraten zu wenden, und ich habe schon über vierhundert.«
    »Und wie lange«, fragte Nixy in einer Anwandlung der Grausamkeit, »haben Sie dafür gebraucht?«
    »Oh, ich glaube, ungefähr…« Angestrengt versuchte Blümchen, in jede erdenkliche Richtung zu schauen, nur Nixy und Quaddel nicht anzusehen. »Ich glaube, etwa zweieinhalb Jahre.«
    »Und wie viele Touristen besuchen London pro Tag?«
    »Äh…«
    »Das dachte ich mir. So…! Wir sind hier, um einen Detektiv namens Sherlock Holmes zu konsultieren. Wie finden wir ihn?«
    Blümchen legte einen dünnen Zeigefinger an die Lippen. »Das sag ich nicht«, schmollte sie wie ein kleines Mädchen.
    »Kommen Sie, Rimski, wir verschwenden unsere Zeit… Nein, halt mal!«
    Plötzlich blaß im Gesicht, fuhr sie wegen etwas herum, das Quaddel bislang nicht aufgefallen war, und im nächsten Moment versuchte sie, sich hinter ihm zu verstecken. Er spähte in dieselbe Richtung wie sie und erblickte rund ein Dutzend Leute mit ernsten Mienen, die sich am anderen Ende des Direkttranslokationsbüros versammelt hatten und Plakattafeln mitführten. Nun kamen sie in düsterer Kolonne näher.
    »Demonstrieren sie etwa gegen Ihren Multi-Opa?« mutmaßte Quaddel.
    »Ja. Aber woher wissen sie bloß, daß ich hier bin? Wie haben sie’s dermaßen schnell erfahren?« Sie wandte sich an Blümchen. »Wenn Ihnen bekannt ist, wo Sherlock Holmes wohnt, helfen Sie uns bitte! Ich bin in wirklich verzweifelter Lage.«
    »Na, also gut«, brummelte Blümchen, klappte die Platte mit der Petition so klein zusammen, daß man sie fast nicht mehr sah, und schob sie – weniger in ihren Ausschnitt, eher hätte man sagen können: in ihre Magengrube. »Allerdings halt ich’s für ‘n albernen Schwindel, Holmes und Watson in die Jack-Ripper-Performance, die Shakespeare-Theater-Reprise und die Charles-Dickens-Meile einzubeziehen, vor allem, weil sie keine historischen Personen sind. Aber welche Chance haben schon Leutchen wie ich gegen so große kommerzielle Interessen? Ich hab in ‘m Ökonomie-Digest nachgeschlagen und weiß, gegen wen ich anstinken muß. Ich kenne die Textil- und Kleiderfabrikanten, die sich ‘ne goldene Nase verdienen, weil die Menschen früher soviel Klamotten trugen und jetzt jeder hier sich entsprechend zu kostümieren hat, so daß das ‘n Riesengeschäft ist, während man in den Swinging Sixties möglichst viel ausgezogen und das Leben genossen hat, statt in Kleidung zu schwitzen, die nach Museumsvorlagen kopiert worden ist… Ach, Shit, wozu erzähle ich das überhaupt…? Sie wollen zur Biker Street zwohunderteinundzwanzig B. Die Adresse ist in der viktorianischen Ära. Sie können denselben Doppeldecker nehmen, mit dem ich heimfahre, und ich habe für heute sowieso die Schnauze voll. Also kommen Sie mit.«
    Mit langen, sportlichen Schritten führte das Mädchen Nixy und Quaddel an einer Gruppe Tänzer vorüber, die zur Musik von Pauken und Posaunen um einen Maibaum tanzten und sich dabei die intensive Aufmerksamkeit einer Schar Touristen gefallen lassen mußten,

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