Chaos Erde
rotem Wams mit weißer Halskrause und weißer Hose. »Pfui, schämst de net? Wolltst so a fesches Maderl in ‘n Karzer sperrn, und gar aach so an blitzsaubern Buam?!«
»Ach, Gilbert«, seufzte PC 49, »stets verstehst du’s, mich weich grad als wie Wachs zu machen. Benjy! Guck zu, daß da das Paar passable Tracht erhält. Gilbert und mir, wir spieln solange mit Justitia Blindekuh.«
Benjy erwies sich als Schnauzbartträger in strengem Ulstermantel und mit brauner Melone. Beim Näherkommen rieb er sich die Hände. »Sir, Madam, Sie wenden sich an das richtige Bekleidungsfachgeschäft – obwohl es fast eine Schande ist, so elegante Broschen abzulegen, und erst recht dies Kamisol, das schöner ist als Nerz oder Zobel. Was darf es sein? Viktorianische oder elisabethanische Garderobe? Oder für beide Zonen brauchbare Universalgarnituren, wie sie am besten und praktischsten sind? Ich empfehle sie immer ganz besonders, zumal bei ihrer Preisgünstigkeit.«
»Wir haben bloß einen Besuch vor«, sagte Nixy, »und zwar im viktorianischen Zeitalter.«
»Trotzdem sollten Sie ernsthaft erwägen, Universalgarnituren anzuschaffen. Ich habe auch welche mit anderen Kostümen, die Ihnen an Ihrem nächsten Ziel nützlich…«
»Straßenkleidung«, orderte Nixy knapp. »Bitte beeilen Sie sich.« Sie warf einen Blick hinauf an die Glaskuppel. Nach ihrer Miene geurteilt, sorgte sie sich wohl, gleich könnte ein neues Verhängnis der Sorte sie treffen, die sie schon verfolgte, seit sie sich auf der Erde aufhielt.
»Wie Madam wünschen«, antwortete Benjy ergeben. »Würden Sie bitte Ihr Haar anheben…? Danke.«
Scheinbar aus dem Nichts geholt, hatte er plötzlich einen großen Reifen in der Hand, den er vom Scheitel bis zur Sohle um ihren Körper abwärtsbewegte; während des Abwärtssinkens summte der Reifen, und als Nixy schließlich heraustrat, hatte sie Ausgehkleidung an, wie sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts für Frauen üblich gewesen war, eingeschlossen ein samtenes Cape, einen Hut mit Schleier und Stiefeletten mit enorm vielen Knöpfen.
»Stören Sie sich bitte nicht an den Knopfleisten«, meinte Benjy. »Das sind nur Applikationen. Darunter sind Reißverschlüsse versteckt. Und nun zu Ihnen, Sir…« Er schwang den Reifen über Quaddels Kopf.
Quaddel spürte ein sonderbares, keineswegs unangenehmes Kribbeln, und seine Kleidung verwandelte sich rasch in einen braunen Tweedanzug mit schwarzem Karomuster, einen Mantel mit abnehmbarem Cape, Schnürstiefel und Jagdhut.
Er bemerkte wieder ein flüchtiges Aufblitzen, als der Reifen die Augenhöhe passierte, doch senkte er sich weiter hinab; vermutlich reichte daher der Krediten-Kontostand noch aus. Quaddel fragte sich, was geschehen wäre, hätte es sich gegenteilig verhalten.
Benjy tippte sich an den Hut und parodierte eine Verbeugung. »Wie die Schauspielerin zum Bischof sagte:
Es ist ein Geschäft, mit Ihnen Vergnügen zu haben. Das ist übrigens ein authentisch überliefertes Bonmot. Falls Sie daran interessiert sind, eine umfangreiche Sammlung so alter Witze und Scherze zu erwerben, daß sie den meisten heutigen Zeitgenossen gar nicht mehr geläufig sind, kann ich Ihnen…«
»Sir Benjy«, rief Gilbert. »Als Schutzmann hüt ich’s Recht, und Ihr seid fährlich nah an sei’m Bruch. Haltet Euch an Euer Gschäft, glei wie ‘r Schuster an ‘n Leisten.«
Mit noch resignierterem Gesichtsausdruck als vorher entfernte sich Benjy, um sich neue Kunden zu suchen. PC 49 nickte zum Zeichen der offiziellen Bestätigung, daß Nixy und Quaddel jetzt einigermaßen passende Kleidung trugen und den Weg fortsetzen durften. Gilbert widmete gleichzeitig Nixys Scham einen Blick sehnsüchtiger Erinnerung und stöhnte hörbar.
Nixy hakte sich bei Quaddel unter und zog ihn fort.
»Hallo, ich bin Blümchen. Möchten Sie vielleicht mit Ihrem Daumenabdruck meine Petition unterstützen?«
Vor ihnen stand ein hochgewachsenes Mädchen mit schwarzhaariger Afrofrisur und riesigen falschen Wimpern. Es hatte weiche, weiße, hautenge Stiefel und einen Minirock mit bis zum Nabel offenen Reißverschluß an und trug eine deprimierte Miene zur Schau, während sie eine glänzende, längliche Platte mit glatter Fläche vor sich hinstreckte.
Nixy zischelte Quaddel zu, er solle es unterlassen, doch seine Laune hatte sich in solchem Maß aufgeheitert, daß er am liebsten die ganze Welt umarmt und jedem eine Gefälligkeit getan hätte. »Welches Anliegen betrifft die Petition?« erkundigte er
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