Chaosprinz Band 1
mir, schaut konzentriert und interessiert in den Fernseher. Auf dem Stuhl neben ihm sitzt Anja. Auch sie betrachtet den Bildschirm. Sie verhalten sich in der Schule nicht gerade wie ein Liebespärchen. Ist wahrscheinlich auch vernünftiger – Alex liebt es ja, vernünftig zu sein…
Dann sehe ich es. Ihre Knie berühren sich. Nicht mehr, nur das. Sie sitzen so eng beieinander, dass sich ihre Knie berühren. Eine kleine, unauffällige Geste, nicht unbedingt erotisch und doch so unendlich intim. Einfach ein stummes Zeichen für Zusammengehörigkeit, Harmonie und Vertrauen.
Ich starre wie gebannt auf ihre Beine, schaffe es nicht, den Blick abzuwenden. Ein dicker Kloß sitzt in meiner Kehle. Ich spüre die heiße Flüssigkeit, die sich hinter meinen Augen sammelt. Mein Brustkorb schmerzt bei jedem Atemzug, dumpf und schwer schlägt mein Herz dagegen. Beruhig dich, Tobi!
Der Film endet fast gleichzeitig mit der Schulstunde. Alle reden gut gelaunt durcheinander. Für die meisten ist der erste Schultag doch recht angenehm verlaufen. Nun freuen sich alle auf zu Hause. Nur ich kann mich zu keinem Lächeln hinreißen lassen.
»Was hast du denn? Machst ja ein Gesicht wie ein Trauerkloß.« Martin mustert mich fragend. Ich zucke nur schnell mit den Schultern und werfe all meine Sachen achtlos in die Umhängetasche.
»Ach, es ist nichts. Die Bilder von Pollock wühlen mich nur immer so emotional auf…« Ich versuche es mit einem schiefen Grinsen. Martin sieht mich verwirrt an, schüttelt dann den Kopf und winkt zum Abschied, ehe er das Klassenzimmer verlässt.
»Noch einen schönen Tag, Frau Eichel!« Alex lächelt Jasmin zu, schnappt sich dann meinen Arm und zerrt mich mit sich. Tom und Lena folgen uns.
»Lass mich los«, zische ich und wehre mich gegen seinen festen Griff. »Willst du nicht mit Anja mitgehen?« Ich deute auf ihre schlanke, hübsche Gestalt am Ende des Flurs.
»Anja hat jetzt noch eine Sitzung der Schülervertretung. Außerdem sehen wir uns heute Abend«, antwortet Alex kühl.
»Toll! Macht ihr euch einen romantischen Abend zu zweit, oder was?« Ich weiß, ich verhalte mich gerade wie die allerschlimmste Zicke, doch ich kann einfach nichts dagegen tun.
»Nein, ein paar von uns treffen sich bei Tom, um den ersten Schultag zu feiern und nun hör auf zu nerven, ich will hier raus.« Er drückt seine Hand in meinen Rücken und schiebt mich durch die wild durcheinanderrennenden Kinder, die sich alle über das Ende des heutigen Unterrichts freuen.
Wir brauchen eine halbe Ewigkeit, um das Schulgebäude endlich zu verlassen. In dem Pulk aus Schülern jeder Altersstufe gefangen, kommen wir nur sehr schleppend voran. Schweigend überqueren wir den breiten Schulhof, als mir siedend heiß einfällt, dass ich mein Federmäppchen im Kunstsaal liegen gelassen habe.
»Mist, ich muss noch mal zurück. Hab was vergessen…«
»Wir sehen uns nachher.« Lena nimmt mich schnell in den Arm, ehe sie den anderen zuwinkt und in Richtung Bushaltestelle geht.
»Ich mach mich dann auch mal auf die Socken. Bis später. Tschau, Bambi!« Tom wuschelt mir durchs Haar und grinst Alex vielsagend an. Ich drehe mich um und gehe zum Schulgebäude zurück.
»Warte auf mich.« Alex greift nach meiner rechten Schulter.
»Warum denn?« Ich möchte ihn gerade nicht sehen und ich möchte auch nicht von ihm angefasst werden... zumindest nicht so…
»Ich komme mit dir mit, sonst verläufst du dich noch.«
»Gar nicht wahr, ich finde den Weg auch alleine.«
»Du hast dich am ersten Tag in unserem Haus verlaufen.«
»Es ist ein sehr großes und verwirrendes Haus!«
»Bambi, warte…«
Ich beeile mich, von ihm wegzukommen, schlängle mich zwischen den Jugendlichen durch und betrete das mittlerweile schon recht leere Schulgebäude. Natürlich hatte Alex recht. Ich verlaufe mich so etwa zehnmal, bis ich das richtige Stockwerk finde, und es dauert eine halbe Ewigkeit, ehe ich vor dem Kunstsaal stehe. Im gesamten Gebäude herrscht inzwischen eine gespenstische Stille. Komisch, noch vor fünfzehn Minuten hat der Boden von trampelnden Schülerfüßen gebebt und nun würde man im Keller eine Stecknadel fallen hören.
Ich klopfe an die helle Holztür. Keine Antwort. Mist. Als ich jedoch die Klinke nach unten drücke, lässt sich die Tür mühelos öffnen. Vorsichtig strecke ich meinen Kopf in das Zimmer. Jasmin Eichel scheint wohl auch schon nach Hause gegangen zu sein oder sie sitzt mit Dacher und Baummann im Lehrerzimmer und lästert über
Weitere Kostenlose Bücher