Chaosprinz Band 1
mich…
Ich betrete den Raum und sehe mein Federmäppchen, das immer noch auf dem Vierertisch liegt. Erleichtert stopfe ich es in meine Tasche und beeile mich, das Klassenzimmer wieder zu verlassen. Alex und Maria sind bestimmt sauer, wenn sie so lange warten müssen.
Mit schnellen Schritten durchquere ich den Raum. Die Tür zum Arbeitsraum ist einen Spalt weit geöffnet. Ich blinzle und kann Jasmin Eichel erkennen, die an einem der hohen Tische lehnt, die Arme um den Nacken eines schlanken Mannes geschlungen. Sie küssen sich.
Jasmin muss meine Bewegungen vor der Tür wahrgenommen haben, auf jeden Fall sieht sie mich plötzlich direkt an. Ich werde sofort knallrot und rufe schnell eine Entschuldigung, ehe ich aus dem Zimmer eilen will. Dann bleibe ich stehen. Stocksteif. Ich kann mich nicht bewegen.
»Tobi?« Seine Stimme lässt mich erzittern. Also keine Fata Morgana! Ich bin nicht verrückt und ich erliege auch nicht einer optischen Täuschung. Joachim kommt aus dem kleinen Arbeitsraum. Ich drehe mich um, schaue ihm stumm in die Augen. Unsicher macht er noch einen Schritt auf mich zu.
»Tobi…«, flüstert er heiser, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht bleich und erschrocken.
»Lass mich raten: Es ist nicht so, wie es aussieht…« Mein scharfer Sarkasmus trifft ihn hart, ich sehe es deutlich.
»Nein… ich meine, doch… also, warte, bitte, lass mich erklären…« Er streckt mir seine Hände entgegen, bereit, sofort nach mir zu greifen, falls ich versuchen sollte, davonzulaufen. Doch ich kann nicht fliehen, meine Beine sind wie eingefroren und in meinem Hirn herrscht so eine verwirrende Leere. Ich weiß nicht, was ich tun soll!
»Ich lass euch allein.« Jasmin kommt aus dem Arbeitsraum. Ihr Gesicht verrät keine Gefühlsregung, sie hat sich vollkommen im Griff. Schnell geht sie an uns vorbei, wirft jedem von uns noch einen kurzen, undurchdringlichen Blick zu und schließt dann die Tür hinter sich.
Wir sind allein. Stehen uns gegenüber und starren uns an. Schweigen. Ich warte, warte darauf, dass er endlich was sagt.
»Tobi…« Wieder hebt er seine Hände, lässt sie wenige Sekunden später aber hilflos fallen.
»Das war also deine wichtige Besprechung«, flüstere ich kalt. Er nickt. »Und ich nehme an, sie ist auch der Grund für deine Überstunden und die langen Abende im Büro .« Er nickt wieder. »Du betrügst Bettina?« Seufzend fährt er sich durch die kurzen, dunklen Haare. »Betrügst du sie?!« Ich will eine Antwort.
»Ja.« Seine Stimme ist leise und heiser. Schnell drehe ich mich um. Ich muss hier raus.
Joachim hält mich am Arm fest. »Bitte warte, lass mich erklären…«
Wütend schlage ich seine Hand beiseite. »Was willst du mir erklären? Es gibt nichts zu erklären, mir ist längst alles klar! Du bist ein Arschloch! Ein mieses, gemeines, herzloses Arschloch, das immer nur an sich denkt! Ich wollte nach München kommen, um zu verstehen, um zu begreifen, warum du damals gegangen bist, warum du mich verlassen hast, was für ein Mensch du bist. Jetzt versteh ich alles, jetzt habe ich dich kennengelernt. Alle meine Fragen sind beantwortet. Du hast vor fünfzehn Jahren deine Familie aus purem Egoismus verlassen und nun tust du wieder dasselbe. In dreizehn Jahren werden Emma und Timmy so vor dir stehen und sich fragen, was für ein Mensch ihr Vater ist. Ich kann ihnen die Antwort jetzt schon geben: Er ist ein mieses Schwein! Du bist ein mieses Schwein!«
Mir tut der Hals vom Schreien weh. Stille. Wir starren uns an. Meine Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt und heiß brennen mir die Tränen in den Augen.
»Das ist nicht wahr«, flüstert er heiser, ich kann ihn kaum verstehen.
»Das damals war ganz anders… ich wollte … deine Mutter… es tut mir leid!«
Ich schüttle den Kopf. »Spar dir das.«
»Nein, hör mir zu, bitte. Ich liebe Bettina, ich will sie nicht verlassen, niemals!« Verzweifelt fährt er sich durch die Haare, sieht mich eindringlich an. Er sieht so jung aus, wie ein Junge, der irgendwo tief drin steckt, Scheiße gebaut hat und nun aus eigener Kraft nicht mehr herauskommt.
»Du betrügst sie.« Meine Feststellung ist eiskalt.
»Ich weiß…«
»Du schläfst mit einer anderen Frau.«
»Ich weiß, aber…«
»Aber was? Wie kannst du sagen, du liebst sie und ihr gleichzeitig so etwas antun? Und dann auch noch mit einer ihrer Freundinnen!«
Er seufzt erneut und fängt an, aufgebracht im Raum auf- und abzugehen.
»Es ist alles nicht so einfach. Unsere
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