Chaosprinz Band 1
gerissen. Wie in Trance erhebe ich mich. Ich träume von Alex... Ich denke an seine weichen Lippen, versuche, mich an das Gefühl seiner Küsse auf meiner Haut zu erinnern. Ich weiß noch ganz genau, wie es war, ihn tief in mir zu spüren… Ach, Alex…
»Tobi?« Lange Fingernägel bohren sich in meinen Oberarm. Fluchend blicke ich auf. Wo bin ich überhaupt? Maria steht vor mir und sieht mich prüfend an. »Du wirkst ein bisschen weggetreten, alles okay?«
Hm, ja sicher, es ging mir noch nie besser. Könnte singen und tanzen vor Freude… Ich schenke Maria ein gequältes Lächeln und lehne mich gezwungen lässig an den Kaffeeautomaten hinter mir. Ich frage mich, wo Lena und Martin stecken? Wollten wir uns nicht hier irgendwo treffen?
Maria sieht mich immer noch seltsam misstrauisch an. Sie hat mich am Sonntagabend bei meiner Rückkehr so lange genervt, bis ich ihr die Wahrheit gebeichtet habe. Zumindest einen kleinen Teil davon… Ich verschwieg ihr, dass Alex und ich bereits zweimal miteinander geschlafen haben. Dieser Kuss, bei dem uns Timmy beobachtet hat, wäre alles gewesen, was jemals zwischen uns geschehen ist, habe ich gesagt. Aber ich konnte nicht leugnen, dass ich mich in ihren Bruder verliebt habe.
Maria ist empört gewesen. »Ich hätte dich nicht für so dumm gehalten«, ist alles gewesen, was sie zu diesem Thema meinte.
»Tobi, ich habe dir doch schon von meinem Kumpel André erzählt…« Maria lächelt mich vielsagend an, dann dreht sie sich schwungvoll um und zieht einen Jungen an seinem Hemdsärmel zu uns heran.
Er ist unheimlich süß. Und klein. André bekommt sofort einen knallroten Kopf, nuschelt ein leises: »Hi«, und senkt dann verlegen seine dunklen Kulleraugen.
»Hallo«, sage ich unsicher und werfe Maria einen fragenden Blick zu. Sie ist völlig begeistert. Stolz auf sich und das, was sie hier fabriziert hat, grinst sie in die Runde.
»Na, dann werde ich euch beide mal in Ruhe lassen. Viel Spaß noch!« Grinsend lässt sie uns stehen und tippelt auf ihren hohen Schuhen davon.
Ich bin sauer. Was denkt sie sich eigentlich dabei? Wenn ich einen Freund möchte, dann werde ich mich selbst um einen bemühen. Ich bin schon dabei, mir intensiv Gedanken über mögliche Racheaktionen zu machen – mir fallen da ganz spontan Knoblauchsaft im Haarshampoo und Mäuse unter der Bettdecke ein –, als mich ein sanftes Räuspern wieder in die Gegenwart zurückholt.
Der kleine Junge vor mir sieht mich mit seinen riesigen Augen und rot leuchtenden Wangen an. »Hi«, sagt er noch mal.
»Hallo«, wiederhole auch ich mich. Weiter kommen wir nicht. Er spielt nervös mit seinen dunklen Locken und ich nippe leicht verzweifelt an meinem ekelhaften Kaffee. Oh, Maria, ich bring dich um…
»Also, André, du gehst mit Maria in eine Klasse?« Mir fällt einfach kein richtiges Gesprächsthema ein.
»Ja«, haucht er.
Hm, dann ist er genauso alt wie Maria: sechzehn. Sieht eher aus wie vierzehn… Er kaut auf seinen Fingernägeln herum und sieht überall hin, nur nicht zu mir. Was soll ich denn jetzt machen? Ich frage mich ernsthaft, was Maria sich hiervon erwartet hat. Dachte sie etwa, wir würden uns nach zehn Minuten des Schweigens augenblicklich ineinander verlieben und dann Händchen haltend und singend über den Pausenhof tanzen? Wohl kaum. Ich bin echt überfordert. Wie werde ich dieses kleine Teddybärchen denn jetzt wieder los?
»Hallöchen!« Tom. Erschrocken fahre ich herum. Die gesamte Clique steht vor uns. Einschließlich Lena und Martin.
»Also, ich muss dann auch mal wieder…« André sieht mich kurz an.
»Ja, klar, bis dann…« Ich würde ja sagen, dass es nett gewesen ist, mit ihm zu sprechen, aber leider kann man dieses Rumgestammel nicht einmal mit viel gutem Willen als Gespräch bezeichnen. André dreht sich um und eilt schnell davon. Seine roten Wangen leuchten immer noch.
»Wo hast du den denn her?«, fragt mich Tom. Er steht dicht neben mir und die anderen sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich becherweise mit diesem ekelhaften Kaffeegebräu einzudecken, um auf uns zu achten.
»Maria hat ihn mir vorgestellt. Sie wollte wohl, dass ich jemand Neues kennenlerne«, meine ich achselzuckend.
»Ich verstehe, ein bisschen was zum Naschen und zum Spielen…« Er grinst dreckig.
»Mir wäre ein Überraschungsei lieber gewesen«, antworte ich trocken.
»Also, wenn du ihn nicht willst…« Tom starrt dem Lockenschopf hinterher.
»Untersteh dich! Wehe, du verdirbst den armen,
Weitere Kostenlose Bücher