Chaosprinz Band 1
gebrochen. Wir sind dann völlig aufgelöst und hektisch zu Matthias gefahren und haben danach den Kleinen ins Krankenhaus gebracht. Als ich dort auf die Uhr geschaut habe, war es schon kurz vor sechs. Da bist du ja gerade in München angekommen. Mein Handy hatte ich im Krankenhaus natürlich aus. Ich habe Alex Bescheid gesagt. Ich konnte nicht ahnen, dass er so lange brauchen würde, um bei dir zu sein. Naja, wir waren alle ein bisschen durcheinander wegen Timmy.«
Ich nicke, aber in mir tobt ein Sturm. Du hättest ja mal kurz das Krankenhaus verlassen können, um mich anzurufen, und wo, bitte schön, bleibt meine Entschuldigung? Wahrscheinlich bin ich gerade etwas kindisch und egoistisch, aber das ist mir scheißegal.
»Okay.« Ich kann ihm einfach nicht sagen, wie ich mich wirklich fühle.
»Macht's dir was aus, wenn wir zu Ikea fahren?«
Verwirrt starre ich ihn an. »Woher weißt du von Ikea? … Egal was du gehört hast, es war ein Unfall!«
Nun ist es an ihm, mich verdutzt anzustarren. »Was? Wovon redest du?«
Ich brauche einige Sekunden, um das Missverständnis zu verstehen, dann fange ich zu lachen an. »Tut mir leid, ich stand gerade etwas neben mir… Ja, Ikea finde ich super, können wir gerne machen.« Ich kichere immer noch vor mich hin und Joachim wirft mir alle paar Sekunden einen besorgten Blick zu.
»Ihr habt ja noch eine Weile Schulferien«, meint Joachim. Offensichtlich hat er nun ein neutrales Thema gefunden, über das wir miteinander reden können. Naja, ich könnte mir etwas Spannenderes als die Schule vorstellen, aber ein Anfang ist ein Anfang.
»Ja, Gott sei Dank.«
»Magst du die Schule nicht so?«
»Doch, naja, was heißt mögen… Ich gehe nicht besonders gerne hin, aber ich hasse sie auch nicht.«
»Bist du gut in der Schule?« Wow, er scheint sich ja doch für mich zu interessieren… Oder ist das nur Smalltalk?
»Das kommt ganz aufs Fach an. Ich bin in keinem wirklich schlecht, aber es gibt einfach Sachen, die liegen mir mehr als andere. In Deutsch, Geschichte, Kunst und Politikwissenschaften bin ich ziemlich gut. Aber in Mathe, Physik und Chemie… Naja, da freu ich mich auch mal über eine vier.«
»Hm, bei mir war's genau andersrum.«
Toll, das bedeutet, wir haben schon etwas gefunden, in dem wir uns nicht einig sind! Super!
»Und wie sieht's mit Freunden aus?«
»Wie meinst du das?«
»Na, hattest du viele Freunde in deiner alten Klasse?« Komische Frage, ist das irgendwie wichtig für ihn? Will er wissen, ob ich ein sozialer Krüppel bin oder zählt er Freunde wie Aktien, je mehr man hat, desto mehr ist man wert?
»Ich kam mit jedem in meiner Klasse gut aus. Aber wirklich enge Freunde habe ich nur zwei. Mario und Tina. Ich weiß, dass sie alles für mich tun würden und umgekehrt genauso. Sie bedeuten mir viel.«
Er antwortet mir nicht gleich. »Alex hat sehr viele Freunde. Eine große Clique.«
Häh? Was soll das denn jetzt?
»Du wirst ja in dieselbe Klasse kommen wie er. Dann merkst du schnell, dass dort eine ganz außergewöhnliche Gemeinschaft herrscht. Ein extremer Zusammenhalt. Und nun ja, Alex' Meinung hat da wohl ziemlich viel Gewicht oder so was in der Art…« Täusch ich mich oder schwingt da eine gute Portion Stolz in seiner Stimme mit? »Überhaupt ist Alex sehr beliebt. Und er ist ein wahnsinnig guter Schüler. Er kann dir bestimmt mal Nachhilfe geben.«
Boah, mir bleibt die Spucke weg. Ich hab doch eben gesagt, dass ich ganz gut in der Schule bin. Ist ja schön und gut, wenn er stolz auf Alex ist, aber muss er uns denn so miteinander vergleichen? Mal ganz abgesehen davon, dass er mich dafür viel zu wenig kennt.
»… und erst die Mädels.« Er lacht und blinzelt mir verschwörerisch zu. »Die Mädels sind völlig verrückt nach ihm. Bei seinem Charme kein Wunder. Ich sag ihm öfters, dass er es nicht ausnutzen und zu bunt treiben soll, aber mein Gott, er ist halt achtzehn Jahre alt.«
Wow, tolles Gespräch, echt super. Ich schweige und schaue aus meinem Fenster.
»Was ist mit dir?«
»Was soll mit mir sein?«
»Hast du eine Freundin? Oder hattest du mal eine?«
Oh Scheiße. Okay, ruhig bleiben. War ja klar, dass dieses Thema irgendwann mal auf den Tisch kommt. Und wie gesagt, ich schäme mich überhaupt nicht für meine Sexualität. Ich bin schwul und das finde ich auch schön. Aber wie ich diese Tatsache meinem Vater und seiner Spießer-Familie beibringen soll, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Irgendwie bin ich davon
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