Chaosprinz Band 1
freundlichen Lächeln.
»Tobi, dein Vater fährt jetzt gleich mit dir einkaufen, mach dich also bitte fertig.«
Ich stehe auf und folge Elena und Martha aus dem Zimmer. Am liebsten hätte ich Elena am Arm gepackt, sie geschüttelt und dazu gezwungen, mir zu verraten, was sie mit ihrer Vermutung gemeint hat. Stattdessen folge ich Martha runter in die Eingangshalle.
»Ich dachte, er hätte keine Zeit.« Eigentlich dachte ich, er hätte es schlichtweg vergessen, aber ich traue mich nicht, das auch laut auszusprechen.
Martha dreht sich schnell zu mir um und sieht mir besorgt ins Gesicht. »Mach dir keine Sorgen, Tobi. Er hat nur manchmal viel zu tun. Wie du ja weißt, arbeitet dein Vater in einer großen Bank. Er trägt viel Verantwortung, hat oft mit wichtigen Kunden zu tun. Da muss er schon mal samstags ins Büro, das ist ganz normal. Aber jetzt ist er zu Hause und wird den restlichen Nachmittag nur mit dir verbringen, so wie es geplant war.« Zuversichtlich lächelt sie mich an.
Ich weiß, dass er mich vergessen hat, und ich weiß auch, dass er jetzt nur mit mir losfährt, weil ihm Martha Feuer unterm Hintern gemacht hat. Aber ich sage nichts. Ich bin Martha für ihr Engagement dankbar, auch wenn es mich im Endeffekt lediglich daran erinnert, dass ich für meinen Vater eine unangenehme Last bin.
»Bist du fertig, können wir los?« Joachim kommt aus dem Wohnzimmer, ein schwarzes Jackett über dem Arm und die Autoschlüssel für den Daimler in der Hand.
»Ja.« Ich nicke schnell.
»Hier, das hätte ich jetzt fast vergessen, dir mitzugeben.« Martha drückt mir eine Tupperdose in die Hand. »Da sind belegte Brote drin. Du hattest ja noch gar kein Mittagessen.«
Dankbar lächle ich sie an und folge dann meinem Vater raus auf den Hof. Martha steht in der Haustür und schaut uns dabei zu, wie wir in den schwarzen Daimler steigen. Sie winkt, als Joachim den Wagen aus der Einfahrt lenkt.
»Sie ist wirklich nett.« Ich betrachte die Tupperdose in meinen Händen. »Ist sie schon lange bei euch?«
»Ja, sie war damals bei den Pohlmanns, also bei Bettinas Eltern angestellt. Bettina kennt sie schon, seit sie ein kleines Mädchen war. Martha ist uns allen immer eine große Stütze gewesen. Sie ist eine tolle Frau.«
»Und sehr lieb…«
Joachim nickt noch einmal bestätigend, dann sitzen wir schweigend nebeneinander. Hier ist er also, der große Augenblick, der Moment, von dem ich jahrelang immer wieder geträumt habe. Mein Vater und ich, völlig allein und ungestört. Eine bessere Möglichkeit gibt es nicht. Hier und jetzt habe ich die Chance, ihn alles zu fragen, endlich Antworten zu bekommen.
Nur, warum sage ich dann nichts? Warum sitze ich hier neben ihm und schweige mich aus… Oh Gott, ich weiß einfach nicht, wie ich anfangen soll! Warum hast du Ma und mich verlassen? Warum hast du dich nie bei mir gemeldet? Kannst du mich so wenig leiden? Hast du nie an mich gedacht? Hast du mich nie vermisst?
»Du kannst deine Brote gerne essen.«
Erschrocken schaue ich ihn an. »Was?«
»Deine Brote. Du hast doch sicher Hunger?«
Vorsichtig öffne ich den Deckel der Dose und nehme mir ein mit Salami belegtes Brot heraus. Wenn ich ehrlich bin, bekomme ich im Moment kaum einen Bissen herunter.
»Möchtest du auch?« Ich halte ihm die Dose hin.
Er lächelt kurz und schüttelt dann den Kopf. »Nein, danke.«
Wir schweigen wieder. An uns vorbei ziehen schöne, große Häuser, vor denen teure Autos stehen. Ich beobachte die Gegend, kaue auf meinem Brot herum und bin langsam der Meinung, dass er auch mal etwas sagen könnte. Schließlich beruht eine Beziehung ja auf Gegenseitigkeiten.
»Warst du schon mal in München?« Seine Frage kommt unerwartet und sie klingt, als hätte er sich ziemlich viele Gedanken über sie gemacht.
»Nein, ich war vorher noch nie hier.«
»Ziemlich anders als Hamburg, oder?«
»Ja, schon… irgendwie…« Mehr weiß ich darauf auch nicht zu sagen. Wieder eine Schweigeminute.
»Wegen gestern, als ich angekommen bin…« Ich bin mir nicht sicher, warum ich jetzt gerade mit diesem Thema anfangen muss, aber irgendwas in mir schreit nach einer Entschuldigung. Ich habe das Gefühl, dass ich, um noch einmal bei Null anfangen zu können, dieses Es tut mir leid brauche. Zwar würde es sich nicht auf den eigentlichen Hauptgrund, nämlich seine Abwesenheit in den letzten fünfzehn Jahren, beziehen, aber es wäre zumindest ein Anfang.
»Ach ja, das war wirklich blöd. Timmy hat sich doch den Arm
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