Chaosprinz Band 1
mir dann zärtlich durchs Haar.
»Ich weiß, mein Schatz, ich weiß. Ist ja gut! Jetzt komm erst mal rein, es gibt gleich Abendessen.« Abendessen? Herrgott, wie lange bin ich denn weg gewesen? Ich schaue auf meine Armbanduhr. 18 Uhr.
»Wir essen heute etwas früher«, beantwortet Martha meine stumme Frage. Sie nimmt meine Hand, tätschelt sie und führt mich ins Innere des Hauses.
»Da bist du ja!« Joachim steht im Eingangsbereich vor einem großen, schmalen Wandspiegel und rückt seine Krawatte zurecht. Er trägt einen schicken, schwarzen Anzug, der bestimmt so viel gekostet hat wie meine gesamte Garderobe.
»Ich bin dann mal in der Küche.« Martha lässt meine Hand los und geht schnell an Joachim vorbei, nicht ohne ihm vorher einen kurzen, warnenden Blick zuzuwerfen. Er schaut noch einmal prüfend in den Spiegel, dann dreht er sich zu mir um.
»Was sollte das? Ich hatte dir doch gesagt, du sollst im Wagen warten! War das so schwer zu verstehen?« Er ist wütend.
Ist mir aber scheißegal. Beleidigt verschränke ich die Arme vor der Brust und schaue ihn trotzig an. »Nein, war sehr verständlich. Du hast mich vor der gesamten Familie gedemütigt und wie ein kleines Kind behandelt.«
»Weil du dich wie eines verhalten hast. Du bist aufgesprungen, hast Schwachsinn geredet und uns alle blamiert.« Seine dunklen Augen funkeln bedrohlich. Unsere Stimmen werden beide mit jedem Wort lauter.
»Ich hab euch blamiert? Wirklich? Also um ehrlich zu sein, fand ich euer Verhalten viel peinlicher!« Ich möchte schreien und heulen und mit den Füßen aufstampfen. Er ist so fies, kalt und oberflächlich und er versteht mich nicht… er versteht mich einfach nicht… »Ihr habt da wie Marionetten gesessen, ohne eigene Meinung und ohne Stolz… Aber vielleicht macht man das ja so in den feinen Kreisen, man schleimt nach oben und befiehlt nach unten.«
»Treib es nicht zu weit, Tobias!« Drohend macht er einen Schritt auf mich zu.
»Dad!« Alex steht in der Tür zum Wohnzimmer und starrt Joachim eindringlich an. »Könnt ihr das in Ruhe regeln, nicht so zwischen Tür und Angel? Außerdem müsst ihr jetzt gleich los und ich will nicht, dass Mom was mitbekommt. Sie soll sich nicht aufregen.«
Joachim streicht sich sein schwarzes Jackett glatt, räuspert sich einmal und sieht dann seinen Stiefsohn an.
»Du hast natürlich recht, Alex.« Er lächelt, doch Alex dreht sich nur wortlos um und verschwindet in Richtung Küche.
»Können wir?« Bettina trägt ein wunderschönes, fliederfarbenes Abendkleid, um ihre Schultern hat sie einen lila Seidenschal gelegt und zart schimmernde Perlen schmücken ihren Hals. Sie sieht hübsch aus. Wie ein junges Mädchen beim ersten Date.
»Oh…« Sie sieht mich und bleibt abrupt stehen. »Ich habe nicht gehört, dass du zurückgekommen bist.«
»Hm, ja…« Mehr fällt mir dazu nicht ein. Ich bin immer noch so wahnsinnig wütend.
»Wir müssen los.« Joachim legt eine Hand auf Bettinas Rücken, mit der anderen öffnet er die Haustür. »Wir reden noch…«, wispert er mir scharf zu, sieht mich wütend an und schiebt Bettina eilig aus der Tür.
Da gehen sie hin, das perfekte Paar! Reich, schön… glücklich? Marschieren aus ihrem perfekten Haus, steigen in ihr perfektes Auto und fahren auf irgendeine perfekte Party. Das perfekte Leben! Aber gestern Abend war nichts perfekt… Gestern Abend war alles so seltsam, falsch und kalt… Ich wollte helfen, wurde aber total missverstanden.
Und dieser kurze Streit eben… Er hat mich angeschrien. Ich wurde noch nie angeschrien! Wenn Ma und ich uns gestritten haben, dann war das immer eine Sache von zwei, drei Stunden, dann sind wir uns schon wieder heulend in den Armen gelegen. Hier ist alles viel komplizierter. Sogar das Streiten.
»Tobi!« Marthas Stimme erklingt aus der Küche.
Ich stehe immer noch im Treppenhaus, die Hände zu Fäusten geballt, und bemerke erst jetzt, dass ich total zittere. Schnell löse ich mich aus meiner Starre und beeile mich, in die Küche zu kommen. Normalerweise essen wir alle zusammen im Esszimmer an der großen, dunklen Holztafel, doch manchmal, wenn Bettina und Joachim, wie heute zum Beispiel, ausgegangen sind, dann sitzt der Rest von uns um den breiten Tisch in der Küche herum.
Dort ist es sowieso viel gemütlicher, aber das liegt bestimmt eher an Martha als an dem riesigen, verchromten Kühlschrank oder den vielen Marmeladengläsern auf dem Schrank.
Maria, Alex, Elena und die Zwillinge sind bereits da,
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