Chaosprinz Band 1
Seufzend schwinge ich erst das rechte, dann das linke Bein aus dem Wagen und schlage die Tür hinter mir zu. Manu steht bereits neben mir und betrachtet wieder das schöne Haus.
»Willst du, dass ich mit rein komme? Ich könnte deinem Vater erklären, warum du bei uns übernachtet hast.«
»Was willst du denn sagen? Wir haben Ihren Sohn ziemlich angetrunken in einem Schwulenclub gefunden, wo er gerade dabei war, es sich von einem wildfremden Kerl besorgen zu lassen. Wir haben ihn dann mit zu uns genommen, nachdem er sich auf offener Straße mit Ihrem anderen Sohn gestritten hat. Ja gut, so kannst du das sagen.«
Manu lacht und strubbelt mir durch die Haare. »Schon kapiert, ich lass es bleiben.«
»Trotzdem danke für das Angebot.«
»Jederzeit. Und du weißt ja jetzt, wo du uns finden kannst. Wir sind immer für dich da, Tobi. Solltest du dich also mal wieder mit deinem Bruder oder deinem Vater streiten…«
»Danke!« Ich hoffe, ich muss sein Angebot niemals annehmen, aber wahrscheinlich kann ich schon mal damit anfangen, meine halbe Garderobe und eine Extrazahnbürste bei Marc und Manu zu deponieren.
»Also dann…« Er steht vor mir, groß und stark. Seine sanften Augen ruhen auf meinem Gesicht. Er will noch etwas sagen, das kann ich deutlich sehen… aber was?
»Wir sehen uns ja schon morgen wieder«, fällt mir da ein, und ich bin echt froh, dieses seltsame Schweigen unterbrechen zu können. »Marc hat mir versprochen, dass er mit mir in den Laden seines Vaters fährt. Vielleicht kann ich da arbeiten.«
Manu blinzelt, als würde er gerade aus einem Schlaf erwachen. Mit der rechten Hand fährt er sich kurz durch die hellbraunen Haare und über seinen weichen Dreitagebart. Dann lächelt er wieder.
»Wie schön! Das halte ich für eine gute Idee! Aber hast du neben der Schule überhaupt Zeit für einen Job?«
»Ja, das geht schon.«
»Na dann, pass auf dich auf!«
»Du auch, und sag noch mal liebe Grüße an Marc.«
Er nickt, lächelt und geht um seinen Polo herum, um dann schnell einzusteigen. Ich winke ihm hinterher, als er den Motor startet und die Straße entlangrollt. Er winkt auch. Ich wäre so gerne bei ihm geblieben. Manu beschützt mich, passt auf mich auf.
… nicht immer wirst du auf Menschen wie Manu treffen, die dich in den Arm nehmen und beschützen wollen. Marcs Worte. Er hat ja recht. Doch ist es nicht der Inhalt dieser Worte, über die ich schon die ganze Zeit nachdenken muss, sondern vielmehr der Ton, in dem er sie ausgesprochen hat… so bitter…
Ob bei den beiden alles okay ist? Sie leben und arbeiten zusammen, haben dieselben Freunde, gehen gemeinsam weg… Ist doch eigentlich super. So stell ich mir das perfekte Leben vor. Aber irgendwas stimmt da nicht… Mensch, Tobi, hör auf, dir Gedanken um das Liebesleben anderer Leute zu machen, du hast selbst genug Probleme…
Langsam gehe ich die Einfahrt entlang auf den Eingang zu. Meine Beine fühlen sich wie zwei Zementklötze an. Egal, wie lange ich ihr auch entgegengehe, der Abstand zur Haustür scheint sich nicht zu verringern. Mein Magen zieht sich unangenehm zusammen. Auch meine Kehle fühlt sich eingeschnürt an und dicke Seile engen meine Brust ein, lähmen meine Arme…
Je näher ich diesem Haus komme, desto hilfloser und gefangener fühle ich mich. Am liebsten würde ich mich umdrehen, alle Seile, Schnüre und Fesseln von mir reißen, abschütteln und mich in Marcs und Manus Wohnung unter dem beigen Sofa verstecken. Ich würde sogar freiwillig zu Ikea mit in den Käfig ziehen.
»Tobi!« Martha reißt die Haustür auf und kommt mir entgegengerannt. Ihre Augen sehen müde aus und sie scheint sogar geweint zu haben. Oh Gott, aber doch nicht meinetwegen… Scheiße!
Sie packt mich an den Schultern und zieht mich in eine feste Umarmung. »Was machst du denn für Sachen? Warum hast du nicht angerufen? Warum hast du nicht gesagt, dass du bei einem Freund übernachtest? Mensch, Tobi, wir haben uns alle solche Sorgen gemacht!«
Ich muss schlucken. Oh Mann, das wollte ich doch nicht. Martha, Karl und Elena sollten sich keine Sorgen um mich machen… Aber woher weiß sie, dass ich bei Manu geschlafen habe? Hat Alex etwa doch im Auftrag seiner Eltern nach mir gesucht und ihnen dann Bescheid gesagt?
»Es tut mir leid«, flüstere ich in Marthas graue Haare und streichle ihr beruhigend über den Rücken. »Aber gestern… das Essen… der Fisch…«
Sie lächelt mich traurig an, wischt sich eine Träne von der Wange und streicht
Weitere Kostenlose Bücher