Chaosprinz Band 1
chinesische Schriftzeichen. Er hat recht, und das kotzt mich an…
»Morgen gehen wir in die Buchhandlung meines Vaters und besorgen dir einen Nebenjob. Hast du schon mal kassiert?«
Überrascht schaue ich auf. Er will mir helfen, eine Arbeit zu finden? Wirklich? Marc nippt an seinem Orangensaft und wirft dann einen Blick auf die Küchenuhr.
»Wo bleibt denn Manu? Wir sitzen hier und warten auf die Brötchen.«
»Marc?«
»Ja?«
»Danke!«
Er lächelt. Ganz kurz, aber egal, er hat gelächelt! Ich strahle ihn an und fühle mich schon ein bisschen besser.
»Ach Gott, das hätte ich ja beinahe vergessen.« Schnell springt Marc auf und steuert auf eine hohe Glastür zu, die auf einen kleinen Balkon führt. »Der Vogel hat ja noch gar nichts zu fressen bekommen.«
Ikea! Auf einem Holztischchen steht eine große Voliere. Auf dem mit Zeitungspapier ausgelegten Boden hockt eine graue Taube, den Kopf neugierig in Richtung Gitter gereckt und den einen Flügel in einer weißen Mullbinde eingewickelt. Ich folge Marc auf den engen Balkon und beobachte, wie er dem Vogel ein paar Körner in eine kleine Schale füllt.
»Wie geht es ihr?« Ich hab immer noch ein unglaublich schlechtes Gewissen. Auch wenn mich diese Taube bis aufs Blut gereizt hat, ist es doch nicht ganz fair gewesen, meine Wut ausschließlich an ihr auszulassen. Aber was hätte ich denn tun sollen? Wenn Joachim da gewesen wäre, hätte ich ja den getreten… aber so…
»Ganz gesund wird sie wohl nicht mehr, aber ich denke, ihr neues Leben hier bei uns gefällt ihr um einiges besser als ihr altes im Bahnhof.« Vorsichtig stellt Marc Ikea ihre kleine Schale in den Käfig. Der Vogel macht einen Hüpfer nach hinten, weicht der Hand aus und wartet, bis Marc das Gittertürchen wieder geschlossen hat, erst dann fängt sie an, die Körner aufzupicken.
»Du kannst gut mit Tieren«, stelle ich anerkennend fest. Ich selbst kann leider nicht von mir behaupten, ein Tierfreund zu sein. Das liegt nicht an mir! Ich liebe Tiere, aber sie können mich nicht leiden. Als ich mal im Zoo gewesen bin, hat mir ein Orang-Utan den Vogel gezeigt und Tinas kleiner Terrier hat mich bei jedem Besuch mit sadistischer Freude in den tränenden Hundeaugen angepisst.
»Natürlich kann ich gut mit Tieren, sonst wäre ich ja kein Tierarzt geworden, oder?« Marcs Logik ist genauso penetrant wie unbestechlich scharf und humorlos.
Es gibt viele Gründe, ihn nicht zu mögen, aber ich bin noch nie der Typ gewesen, der sich gerne von guten Argumenten überzeugen lässt.
***
»Hier wohnst du also?« Manu beugt sich etwas nach vorne, um einen besseren Blick durch die Windschutzscheibe auf die große Villa der Zieglers zu haben.
»Ja, home sweet home!« Ich lehne mich im Beifahrersitz zurück und kaue nervös auf meiner Unterlippe herum.
»Ein schönes Haus!« Beeindruckt reckt Manu den Hals, aber ich schnaube nur abfällig.
»Wir können ja tauschen, wenn du magst.«
Er lacht und sieht mich kurz an. »Nee danke, ich bin ganz zufrieden mit meiner kleinen Wohnung.«
»Und mit Marc.«
Er hört auf zu lachen. Wir schauen uns einige Sekunden lang in die Augen. Er weiß nicht, wie er auf meinen Kommentar reagieren soll, weiß nicht, wie ich das gemeint habe… Ich kann es ihm nicht erklären, hab ja selber keine Ahnung. Es ist nur so ein Gefühl…
»Ja, ich bin auch ganz zufrieden mit Marc.« Er versucht es mit einen Lächeln und zwinkert mir spielerisch zu, doch irgendetwas ist falsch…
»Er ist wirklich toll.«
»Wer?« Manu sieht mich fragend an.
»Na Marc. Er ist wirklich toll! So klug, hilfsbereit und ehrlich.« Ich meine es genauso, wie ich es sage. Zwar war Marc nun nicht gerade nett zu mir, doch zweifle ich keine Sekunde an seiner Aufrichtigkeit.
Manu sieht mich immer noch an. Prüfend bohren sich seine Augen in meine. Sie sind so braun, warm und sanft… und traurig?
»Was hast du?« Nervös greife ich nach seinem Arm, halte sein Handgelenk fest. Er hat so große Hände, das fällt mir jedes Mal aufs Neue auf. Meine wirken dagegen wie Puppenhändchen. »Hab ich was Falsches gesagt?«
Unter meinen Fingerkuppen spüre ich seinen Puls schlagen… zu schnell…
»Nein, Tobi. Nein, du hast nichts Falsches gesagt, es ist alles okay… Ah, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, willst du denn nicht mal reingehen?«
Nun ja, da sind wir eigentlich nicht stehen geblieben, aber bitte, wenn er nicht drüber reden möchte… Ich lasse sein Handgelenk los und öffne zaghaft die Autotür.
Weitere Kostenlose Bücher