Chaosprinz Band 2
Mitleids durchzuckt mich. Langsam gehe ich weiter, nähere mich dem Zimmer und bleibe schließlich im Türrahmen stehen.
Pa sitzt hinter seinem Schreibtisch. Vor ihm auf dem Tisch befindet sich eine große, braune Umzugskiste. Er räumt gerade die verschiedenen Gegenstände auf seinem Schreibtisch in die Box.
»Hallo«, sage ich unsicher.
Erschrocken hebt er den Kopf und sieht mich an. »Ach, du bist es…«
»Hast du nicht gewusst, dass ich noch hier bin?«
»Doch, deine Mutter hat es mir gesagt. Sie meinte, du würdest später nachkommen.«
Ich nicke schwach. Er wendet sich wieder seinen Sachen zu.
»Du gehst also wirklich«, stelle ich leise fest.
»Ja, Bettina will es so«, meint er mit rauer Stimme.
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Nein, sie wollte mich nicht sehen. Aber deine Mutter und Alex haben mir sehr deutlich gezeigt, dass ich hier nicht länger erwünscht bin.« Seufzend erhebt er sich und stellt die Kiste auf den Teppichboden.
»Ich finde, du solltest mit Bettina reden, bevor du aufgibst«, sage ich ernst. »Vielleicht habt ihr ja noch eine Chance.«
»Vielleicht. Aber im Moment will sie mich nicht im Haus haben und ich glaube, das muss ich akzeptieren. Sie braucht jetzt Zeit und Abstand.«
»Aber –«
»Tobi, ich war es, der den Fehler gemacht hat. Da kann ich sie zu nichts zwingen oder unangebrachte Forderungen stellen. In dem Punkt hatte deine Mutter leider recht.« Er nimmt die Bilder vom Schreibtisch. Die Familienbilder. Und die Malerei von mir. Vorsichtig legt er sie in die Umzugskiste. Sein Blick ist wehmütig.
»Aber…«, flüstere ich schüchtern. »Aber wo sollen wir denn jetzt hin?«
»Ein Kollege von mir hat eine Wohnung in der Innenstadt. Die steht schon seit einer Weile leer. Ich habe ihn vorhin angerufen und er meinte…« Dann hält er ganz plötzlich inne und sieht mich an. Sein erstaunter Blick bohrt sich tief in meinen. »Hast du gerade wir gesagt?«, fragt er unsicher.
»Ja«, meine ich nickend.
»Was soll das bedeuten?«
»Das bedeutet, dass ich bei dir wohnen werde«, sage ich ruhig. »Ich bin hierhergekommen, um meinen Vater kennenzulernen, und an diesem Ziel hat sich nichts geändert.«
»Aber…« Er weiß nicht, was er sagen soll.
»Willst du nicht, dass ich mit dir zusammenlebe?«, frage ich ängstlich.
»Was? Nein! Nein, ich will… Also, ich will schon, aber…«, stammelt er aufgeregt. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass du… Wann hast du dich dazu entschlossen?«
Wann ich mich dazu entschlossen habe? Gute Frage. Ich habe keine Ahnung. Ich kann ihm keine richtige Antwort geben und zucke daher nur mit den Schultern.
Gemeinsam räumen wir die Bücher, Dekoration und kleinere Möbel in Kartons und Umzugskisten. Dabei reden wir kaum ein Wort miteinander. Meistens schweigen wir. Und trotzdem… Ich habe mich noch nie so wohl in seiner Nähe gefühlt.
54. Kapitel
Männerwirtschaft
Mein Wecker klingelt. Blind tastet meine Hand nach dem Quälgeist. Ein kurzer Schlag und das Teil verstummt. Ich seufze schwer. Ich erwache aus einer dunklen, schweren Nacht. Aus einem tiefen und traumlosen Schlaf. Müde kuschle ich mich in die warme Decke. Am liebsten würde ich die Augen sofort wieder schließen. Ich möchte noch ein bisschen schlafen. Mindestens noch eine halbe Stunde.
Musik dringt schwach und leise aus der Wohnung über uns, dann ist eine Männerstimme zu hören. Jemand liest die Verkehrsnachrichten vor. Ein Radio. Wieder seufze ich. Ich drehe mich auf den Rücken und starre an die Decke.
In mir wächst ein seltsames Gefühl. Ich versuche, es zu definieren, ihm einen Namen zu geben, doch irgendwie will mir das nicht so richtig gelingen. Ich weiß nur, dass etwas nicht stimmt. Da ist ein Fehler. Aber wo?
Dann wird es mir auf einmal klar: Der Himmel ist weg! Dort über mir, wo sonst immer das große Dachfenster gewesen ist, durch das ich den Sternenhimmel betrachten konnte, befindet sich nun eine weiße Raufaserdecke. Wehmut legt sich schwer auf meine Brust. Ich bin nicht mehr zu Hause.
Mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung stoße ich die Decke zur Seite und springe aus dem Bett. In dem kleinen Zimmer ist es dunkel. Ich muss durch den ganzen Raum tapsen, um zum Lichtschalter zu gelangen. Dreimal stoße ich mir die Zehen an Pappkartons und einmal stolpere ich fast über meine Stereoanlage.
Leise fluchend erreiche ich schließlich die Zimmertür, neben der sich der kleine, flache Lichtschalter befindet. Grummelnd reibe ich mir die Augen, als
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