Chaosprinz Band 2
mich das Licht der Deckenstrahler blendet. Es dauert, bis ich mich an die neue Helligkeit gewöhnt habe. Meine Augen tränen immer noch, als ich mich in dem kleinen Raum umschaue.
Mein neues Zimmer. Es ist mir unsympathisch. Ich kann es nicht leiden. Ich finde es hässlich. Nun, im Moment hat es auch mehr Ähnlichkeit mit einer Abstellkammer, als mit einem wirklichen Zimmer.
Überall stehen Kisten herum, in denen sich meine Kleider, Bücher und DVDs befinden. Einzig Noresund steht bereits fertig aufgebaut in einer der vier Ecken und wirkt viel zu groß und sperrig für den kleinen Raum.
Ich zwinge mich, den Blick von meinem Bett zu nehmen. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen, dafür habe ich jetzt keine Zeit. Es dauert, bis ich unter den zahlreichen Kartons denjenigen gefunden habe, in dem sich meine Jeans befinden.
Gestern musste alles sehr schnell gehen. Im Grunde habe ich einfach nur den Inhalt der Schränke und Schubladen gepackt und in Kisten gestopft, während zwei Arbeitskollegen von Pa Noresund auseinander geschraubt und meinen Fernseher aus dem Zimmer getragen haben.
Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas mit Pas Freunden zu tun gehabt. Um ehrlich zu sein, ich wusste gar nicht, dass er welche hat… Da leben wir seit fast einem halben Jahr unter einem Dach und wissen doch so wenig voneinander. Ich denke, das wird sich nun ändern.
Gestern Morgen um halb acht standen also vier von Pas Freunden vor unserem Haus. Einer von ihnen hatte seinen Familienkombi mitgebracht, den wir kurzerhand zu einem Lieferwagen umfunktionierten. Alles ging erschreckend schnell. In wenigen Stunden war mein Zimmer ausgeräumt und meine Möbel im Wagen verstaut. Am Nachmittag stand Noresund schon wieder aufgebaut in der neuen Wohnung.
Die Wohnung gehört Horst, einem der Kumpels von Pa. Er macht in Immobilien und hat ein Händchen für die ganz großen Geschäfte, das hat mir zumindest Pa erzählt. Da er nun ständig unterwegs ist und die wenige Zeit, die er in Deutschland verweilt, meist bei seiner Freundin verbringt, steht seine Wohnung seit geraumer Zeit leer.
»Ich habe sie eigentlich verkaufen wollen«, erzählte Horst mir, während wir den Lattenrost von Noresund aus dem Lieferwagen hievten. »Aber irgendwie habe ich es nicht übers Herz gebracht. Diese Junggesellenbude ist eine Art Unterschlupf… ein kleiner Flecken Freiheit… verstehst du, was ich meine?«
Ich nickte und sagte, ich würde es verstehen. Ein Unterschlupf. Ja, genau das ist sie, diese Wohnung.
Sie hat drei Zimmer. Zwei sehr kleine und ein großes, das mit der offenen Küche verbunden ist. Ich steige über Gwendolin, die auf dem Fußboden vor dem Fenster liegt, und ziehe an dem Gurt des Rollladens. Laut knatternd hebt sich die Jalousie.
Ich öffne das Fenster. Sofort strömt frische Morgenluft herein. Es riecht nach feuchtem Nebel, nach November. Noch immer ist es ziemlich düster. Der Himmel erscheint einem grau im trüben Dämmerlicht.
Ich stütze mich mit den Ellenbogen auf dem Fensterbrett ab und schaue hinunter auf den schachtähnlichen Innenhof des großen Hauses. In einer Ecke stehen große Müllcontainer, Kinderfahrräder lehnen an der Hauswand, ein Basketballkorb hängt über einem vergitterten Fenster und in ungepflegten Blumenbeeten wachsen wilde Büsche.
Das Haus befindet sich mitten in der Altstadt. Sehr zentral. Es gibt fünf Stockwerke, unsere Wohnung ist im vierten. Seufzend lehne ich meinen Kopf an den Fensterrahmen und beobachte eine Katze, die um die Müllcontainer herumschleicht.
Mir kommt es so vor, als würden zwischen dem Samstagmorgen, den ich in Ludwigs Laden verbracht habe, und dem heutigen Montagmorgen zwei ganze Wochen liegen. Tatsächlich sind es gerade mal achtundvierzig Stunden.
Ma hat getobt. Sie sprach von neun Monaten in ihrem Uterus, einer qualvollen Geburt, die sie fast das Leben gekostet hätte, und achtzehn Jahren, in denen sie mich genährt, gepflegt und geliebt hätte.
»Undankbar bist du, einfach undankbar«, schimpfte sie und stemmte beide Hände in die Hüften. »So habe ich dich nicht erzogen.«
»Ma, ich…«
Wir standen einander in meinem alten Zimmer gegenüber. Als ich ihr klarmachte, dass ich gemeinsam mit Pa ausziehen würde, war sie stinksauer.
»Erinnerst du dich noch an die Schulaufführung der vierten Klasse? Du warst ein Baum, eine Kastanie, um genau zu sein. Da standest du auf der Bühne und warst unheimlich nervös und dann, als du an der Reihe warst, hast du vor lauter Aufregung
Weitere Kostenlose Bücher