Chaosprinz Band 2
vielen hundert Jahren«, scherzte Horst gut gelaunt. »Wir hatten immer eine Menge Spaß, nicht, Jo?« Er grinste Pa fröhlich an.
»Hm…« Pa nickte lächelnd in die Runde.
Pa als Schuljunge? Das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen… Wie er wohl war? Klug und fleißig oder doch eher frech und vorlaut?
Ich hätte gerne mehr erfahren. Über Pa und seine Freunde. Wo sie am Wochenende hingegangen sind, was für Musik sie gehört haben, welche Träume sie hatten... Doch leider wechselten die Männer das Thema und man diskutierte über den Stauraum eines Ford Kombis und zwar in aller Ausführlichkeit.
Das Wasser ist eiskalt. Außerdem spritzt es ganz schön, der Hahn muss wohl verkalkt sein. Rasch drehe ich an dem Regler und versuche, eine etwas angenehmere Temperatur einzustellen. Über der Badewanne hängt ein Boiler. Er beginnt, laut und lärmend zu surren. Ich putze mir die Zähne und wasche mich. Mit tropfend nassem Gesicht muss ich feststellen, dass unsere Handtücher immer noch in den Umzugskartons versteckt sind… Super Start für einen Montagmorgen.
Wenig motiviert betrete ich eine Viertelstunde später die Küche. Pa ist schon wach. Er hat die letzte Nacht auf der dunklen Ledercouch geschlafen, die bis gestern noch in seinem alten Arbeitszimmer gestanden hat. Dementsprechend müde und verspannt sieht er jetzt auch aus.
»Guten Morgen«, nuschle ich undeutlich.
»Morgen«, brummt er.
Die Einbauküche besteht aus ein paar weißen, modernen Schränken, einem silbernen, großen Kühlschrank, einem Herd mit Backofen und einem schicken Küchenblock, der die Verbindung zum Wohn- und Essbereich darstellen soll. Aber ansonsten fehlt all das, was eine richtige Küche ausmacht. Es gibt weder Töpfe und Pfannen, noch Besteck oder irgendwelche elektronischen Küchengeräte.
Aber im Grunde ist das nicht schlimm. Denn wir haben nichts, was man in einen Topf tun könnte, nichts, das man mit Messern zerschneiden oder auf einen Teller legen könnte. Wir haben nichts zu essen. Unser Kühlschrank ist leer. Seine klinische Sauberkeit wirkt fast schon gruselig.
Pa deutet auf einen schäbigen, glucksenden Wasserkocher, der ziemlich einsam in einer Ecke steht und vor sich hin blubbert.
»Kaffee?«, fragt er mich mit rauer Stimme.
»Instant?«
»Ja.«
»Ihhh.«
»Auf dem Weg zur Schule fahren wir beim Bäcker vorbei.«
Ich nicke erleichtert. Er reicht mir einen weißen Plastikbecher und die Dose mit dem löslichen Kaffee. Nachdem ich vier gehäufte Teelöffel von dem Pulver in meinen Becher geschaufelt habe, lasse ich mir von Pa heißes Wasser dazu gießen. Umrühren. Zusehen, wie das Pulver sich auflöst… oder eben kleine, eklige Klümpchen bildet…
Wir starren beide in unsere Becher und schweigen. Aller Anfang ist schwer, oder? Wir sind eben beide nicht sehr gesprächig, so früh am Morgen… Hey, ist das nicht eine Gemeinsamkeit?
Ich nippe an der heißen, hellbraunen Brühe und überlege fieberhaft, über was wir miteinander reden könnten. Was soll ich sagen? Mir muss doch etwas einfallen. Gibt es denn kein Gesprächsthema, das uns verbindet? Ich meine außer der Tatsache, dass wir beide scheinbar ziemliche Morgenmuffel sind?
Hm, ich könnte ihn fragen, wie er geschlafen hat? Ob es sehr unbequem auf der Ledercouch war? Ich könnte mich nach seinen Plänen für den heutigen Tag erkundigen. Wenn er in den Baumarkt fährt, darf er die Lampe im Badezimmer nicht vergessen. Ich könnte fragen, was er tun wird, um Bettina wieder zurück zu erobern. Will er überhaupt um ihre Ehe kämpfen?
Aber ich frage nichts. Ich sage nichts. Ich schweige. Genau wie er. Der Kaffee schmeckt abscheulich und ich atme erleichtert auf, als Pa auf die Uhr schaut und meint, wir müssten los. Endlich.
Keine Ahnung, wann ich mich das letzte Mal so auf die Schule gefreut habe. Muss schon eine halbe Ewigkeit her sein. Wahrscheinlich war das noch zu Grundschulzeiten. Ja, genau, damals hat man noch kleine Sternensticker als Belohnung für besondere Fleißtaten bekommen.
Ich bin sicher, wenn Dacher mit Schokolade anstelle von Häme und Spott um sich werfen würde, wäre er auch in der Lage, den einen oder anderen Mathemuffel zu mehr Leistungen zu animieren…
Gemeinsam verlassen wir die Wohnung. Der Daimler steht eine Straße weiter. Direkt vor dem Haus gab es keinen Parkplatz mehr. Die frische Morgenluft ist unangenehm kühl. Ich vergrabe meine Hände in den Jackentaschen und ziehe die Schultern nach oben.
»Ist dir kalt?«, fragt Pa
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