Chaosprinz Band 2
du bist seit Tagen der erste Mensch, der mich das fragt.«
Ich bemerke sofort den bitteren Ton in ihrer Stimme.
»Wie meinst du das?« Besorgt mustere ich ihr hübsches Gesicht, dessen rote Lippen gerade zu einem süßen Schmollmund geformt sind.
»Na, alle wollen immer über Moms Gefühle reden und natürlich über Alex'.« Sie schnaubt. »Ständig heißt es: Kommst du damit zurecht, Alex? Was denkst du, Alex? Was sollen wir tun, Alex? Und so weiter und so fort. Aber niemand interessiert sich für meine Meinung.«
»Und was ist deine Meinung?«
»Woher soll ich das wissen«, murrt sie trotzig. »Ich bekomme ja keine Informationen, wie soll ich denn dann eine Meinung bilden?«
»Informationen über die Trennung?«
»Ist es denn das? Eine Trennung? Dad und du seid ausgezogen, aber von Scheidung war noch nie die Rede. Naja, Mom spricht auch nicht von Dad…«
»Sei nicht so streng mit ihr, Maria. Deine Mutter ist tief verletzt und sehr traurig.« Ich streichle ihr über den Kopf.
»Ich weiß. Gestern Abend hat sie Martha beim Wäschemachen geholfen und als sie ein Hemd von Dad gefunden hat, fing sie an zu weinen…« Maria senkt traurig den Blick.
»Ihm geht es nicht anders, er vermisst Bettina sehr – und euch natürlich auch«, flüstere ich leise. »Was ist mit Markus? Hast du ihn denn schon etwas besser kennenlernen können? Magst du ihn?«
Sie sieht mich an. Überlegt und nickt dann langsam.
»Ich mag ihn. Aber ich erinnere mich überhaupt nicht mehr an ihn – Alex schon.«
»Ist heute Nachmittag etwas passiert?«
Sie schüttelt den Kopf, hält dann plötzlich inne und überlegt. »Eine Sache gab es: Unser Vater hat uns jeweils ein Bild geschenkt. Er hat sie schon vor einer ganzen Weile gemalt. Er sagte, sie sollen uns darstellen, also unser Innerstes, unsere Seelen oder so 'nen Kram, keine Ahnung. Eigentlich bestehen die Bilder nur als wilden Farbvariationen – moderne Kunst, eben. Und er meinte, er hätte uns so gemalt, wie er sich uns vorgestellt hat. Ich habe es nicht ganz kapiert…« Sie zuckt erschöpft die Schultern.
»Hat euch das nicht gefallen?« Ist Alex deswegen so bedrückt? Weil sein Vater ihm ein Gemälde geschenkt hat?
»Ich finde mein Bild sehr schön«, sagt Maria und lächelt. »Er sagte, es sei lieblich, rein und leidenschaftlich, genau wie ich. Und er hat recht.« Sie nickt zufrieden.
Lieblich und rein? Ich verkneife mir jeden Kommentar und höre ihr ungeduldig zu, als sie mir das Gemälde beschreibt. Es ist in Weiß, Rosa, Rot und Gelb gehalten. Weiche, runde Formen, die sanft ineinander übergehen, verspielt und frisch wirken.
»Das Gelb steht für meine Haare.«
»Hat dir Markus das erzählt?«, frage ich zweifelnd.
»Nein, aber das ist doch offensichtlich«, meint Maria und mustert mich abschätzig. Sie hält wohl sehr viel von ihrem Kunstverständnis und ich habe keine Lust, um mich hier und jetzt mit ihr wegen ein bisschen gelber Farbe zu streiten.
»Was hat er zu Alex gesagt?«, will ich nervös wissen. »Wie sieht sein Bild aus?«
»Och, das ist nicht so hübsch«, meint Maria desinteressiert. »Er meinte, er habe, wenn er an Alex gedacht hätte, immer einen ehrlichen, freien, klugen, lebensfrohen und starken jungen Mann vor Augen gehabt. Unser armer Vater weiß ja gar nicht, wie falsch er mit seinen Vermutungen liegt. Er wird sehr enttäuscht sein, wenn er ihn besser kennenlernt.«
»Sei nicht so gemein«, fahre ich sie aufgebracht an. »Dein Bruder besitzt all diese Eigenschaften, das weißt du genau. Er kann sie nur nicht immer zeigen…«
Er tut mir so leid. Markus' kleine Ansprache muss ihn sehr getroffen und berührt haben. Alex ist so wahnsinnig sensibel. Es muss sehr anstrengend sein, wenn man von allen Seiten mit Erwartungen überhäuft wird.
Jeder hat ein bestimmtes Bild, an das er glaubt, eine bestimmte Vorstellung, die er erfüllt sehen will. Seine Mutter, sein Vater, Pa, die Großeltern, Geschwister, Lehrer, Mitschüler, Freunde… Liebhaber…
Setze auch ich ihn unter Druck? Verlange auch ich von ihm, etwas zu sein, das er nicht ist? Nein, ich will ihn richtig, ganz, mit allen Fehlern und Macken.
Als Maria bemerkt, dass meine Aufmerksamkeit schwindet, tritt sie mir grob gegen das Schienbein und zieht einen bitterbösen Schmollmund. Ich lächle sie entschuldigend an und reibe mir dann das schmerzende Bein. Neben Maria tauchen Jana, Alina und André auf.
»Hallo«, begrüße ich die drei und mein Blick bleibt nicht milde überrascht an André
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