Chaosprinz Band 2
pechschwarzer Schleier legt sich wie ein dichtes Seidentuch über meine Augen.
»Jan?«, frage ich ängstlich. »Wo ist der Lichtschalter?«
Es ist so finster, ich kann nicht einmal mehr Konturen erkennen. Blind und regungslos stehe ich da und kämpfe die aufkommende Gänsehaut nieder.
»Jan…?«
Wieso antwortet er nicht? Heftige Unruhe lässt meine Innereien erzittern. Ich taste mich durch die Dunkelheit, versuche, mich irgendwo festzuhalten. Meine Fingerspitzen streifen weichen Stoff, berühren den warmen Körper darunter. Jan. Er steht dicht vor mir…
»Was… wieso machst du kein Licht?« Langsam wird mir die Sache unheimlich. Ich möchte gehen.
»Ich mag dich.«
Ich zucke heftig zusammen. Ich bin total verwirrt. Was sagt er da? Wie meint er das?
»Ich mag dich sehr… schon lange…«
Hände berühren meine Arme, legen sich auf die Schultern. Große, warme Hände – sie zittern ein bisschen…
»Also, wo ist denn nun der Lichtschalter…« Ich will hier weg.
»Ich würde dich gerne ein bisschen besser kennenlernen«, haucht er. »Das mit Melli ist… Ich bin nicht… Ich liebe sie nicht…«
»Tom hat gesagt, hier müsste Bier sein.«
»Ich glaube, ich bin schwul…«
»Ich will Bier.«
Oh mein Gott! Mir wird das alles zu viel. Mein Herz klopft wild und in meinem Kopf ertönt ein seltsam heller Pfeifton. Raus hier. Ganz schnell. Hastig reiße ich mich von ihm los. Verdammte Scheiße, wo ist die Tür?
»Tobi!« Seine Hände halten mich fest. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Es tut mir leid. Du bist sehr süß…«
»Ich weiß«, krächze ich. »Aber…«
»Ich habe gehört, dass du einen Freund hast, aber mit dem ist es aus, oder? Ich habe eben Alex gefragt und er meinte, du bist Single…«
Sein letzter Satz ist wie ein Zauberspruch. Eine böse Verfluchung. Er lähmt meine Glieder, friert mein Herz ein.
»Alex hat gesagt, dass ich solo bin?« Die Festigkeit in meiner Stimme schockiert mich selbst.
»Er sagte, du bist mit niemandem zusammen.«
Starr und schweigend stehe ich da. Jans Hände tasten sich vorsichtig nach oben. Zitternd berühren die Fingerspitzen meinen Hals, das Kinn, die Wangen. Es ist so dunkel… Ich kann ihn nicht sehen… Aber er ist nah, das spüre ich. Sein warmer Atem streift mein Gesicht… meinen Mund…
Er küsst mich. Bebend liegen seine Lippen auf meinen. Er bewegt sie nicht, drückt sie nur ganz sacht dagegen. Ein vorsichtiges Kosten… In mir herrscht eine seltsame Taubheit. Ich bin nicht in der Lage, zu reagieren. Am liebsten würde ich mich fallenlassen… oder weinen… oder beides…
Es wird hell. Zuckend flimmern die Leuchtstoffröhren über unseren Köpfen, tauchen den kalten Kellerraum in ein unnatürlich grelles Licht. Jan löst sich erschrocken von mir. Verwirrt starren wir uns an. Wilde Panik trommelt in meiner Brust. Ich schaue zur Tür. Da steht Tom, eine Hand auf dem Lichtschalter. Scheiße!
»Was…?«, fragt Tom atemlos. Er starrt mich an. Die Augen vor Entsetzen geweitet.
»Hallo«, sage ich mit piepsig hoher Stimme. »Ich kann das Bier nicht finden…«
»Du suchst an der falschen Stelle«, sagt er, ohne auch nur einmal den Blick von mir zu nehmen.
Schweigen. Ich möchte mich in einem der Weinfässer ersäufen.
»Tom…«, fängt Jan an, die Wangen gerötet.
»Verschwinde!«, knurrt Tom seinen Freund an.
»Was?«
»Geh!« Er ist wütend. Jan sieht mich an.
»Schon okay«, krächze ich. »Geh ruhig. Ich unterhalte mich noch ein bisschen mit Tom.«
Jan will mich nur ungern allein lassen. Er mustert Tom, wirft mir dann noch einmal einen unsicheren Blick zu und verlässt schließlich sehr widerwillig den Raum.
Nun sind wir alleine. Und schweigen. Tom sieht aus, als würde er gleich einen hysterischen Anfall bekommen.
»Was bist du eigentlich für ein Arschloch?«, zischt er schließlich. »Gemein und hinterhältig…«
»Nein.« Heftig schüttle ich den Kopf.
»Oh, ja, klar, das war alles ganz anders.« Tom lacht spöttisch. »Ein Missverständnis. Ja, sicher.«
»Aber so ist es«, werfe ich eilig ein. »Er hat mich…«
» Er hat!«, faucht Tom. »Jan ist an allem Schuld und du kannst wieder nichts dafür. Wie immer.«
»Er hat mich geküsst… Ich konnte mich nicht wehren…« Selbst in meinen eigenen Ohren klingt das nach einer billigen und naiven Ausrede.
»Du Armer!« Aus Toms Stimme trieft der Sarkasmus. »Und Alex soll nun nichts davon erfahren, weil du ihn schützen willst. Wie lieb von dir.«
Ich schlucke hart.
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