Chaosprinz Band 2
Hausflur ist dunkel und genauso alt und schäbig wie die graue Fassade. Es riecht nach scharfem, würzigem Essen.
Ich suche nach einem Lichtschalter. Flackernd geht eine einzige, spärliche Glühbirne über der Eingangstür an. Langsam steige ich die breite, dunkle Holztreppe nach oben. Jede Stufe quietscht, knarrt und ächzt.
Ein halbes Jahrhundert später – so kommt es mir zumindest vor – stehe ich endlich vor der Wohnungstür im vierten Stock.
Ziegler. Sonst nichts. Mehr steht nicht neben dem Klingelknopf.
Jetzt ist mir schlecht. Ich bin sehr nervös. Zitternd stehe ich da und warte. Bewegungslos und steif.
Die Tür wird aufgerissen. So ruckartig, dass ich entsetzt zwei Schritte zurückweiche.
»Was wollen Sie?«, brüllt mir eine zittrige Stimme entgegen. »Was soll das? Warum stehen Sie hier vor meiner Wohnungstür herum? Denken Sie, Sie könnten mich ausspionieren? Ein alter Mann, der allein lebt… Liest man immer wieder in den Zeitungen… Alte Menschen werden doch jeden Tag ausgeraubt. Aber eines kann ich Ihnen gleich sagen: Bei mir ist nichts zu holen, also sparen Sie sich die Mühe.«
Ich starre den alten Mann mit offen stehendem Mund an. Ulrich Ziegler ist nicht mehr stämmig. Schmal und dünn steht er vor mir. Das Gesicht faltig, die Wangen eingefallen. Graues, kurzes Haar liegt wie ein Kranz um seinen Hinterkopf, die blanke Stirn ist von tiefen Furchen gezeichnet.
Nichts erinnert mehr an den düsteren, kräftigen Mann auf den Bildern. Nichts, bis auf den Zorn, der in seinen Augen glitzert, und den energischen Zug um die trocknen, schmalen Lippen.
Seine Augen fixieren mich und auf einmal verstummt er, bricht mitten im Satz ab und scheint seine Hasstiraden kurzzeitig vollkommen vergessen zuhaben. Er mustert mich mit einem Blick, den ich beim besten Willen nicht zu deuten vermag. Ich sollte etwas sagen, doch ich weiß nicht, was…
»Joachim?«, flüstert der Alte fragend. Tiefe Ungläubigkeit spiegelt sich in seiner Miene. Dann schüttelt er heftig den Kopf. »Nein, das kann ja gar nicht sein…«
»Ich«, sage ich mit leiser Stimme, »ich bin Joachims Sohn. Tobias…«
Der Alte hebt die buschigen Augenbrauen. Er mustert mich noch viel intensiver. »Joachims Sohn?«, nuschelt er.
Mit der linken Hand hält er sich an der Türklinke fest, mit der rechten winkt er mich näher an sich heran. Ich zögere, wage es dann aber doch und mache vorsichtig einen Schritt nach vorne.
Die wässrigen Augen wandern über mein Gesicht, über Nase, Augen, Wangen und den Mund. Er lässt kein Detail aus. Ich senke den Blick, fühle mich observiert, fast schon seziert und würde seinen bohrenden Augen gerne aus dem Weg gehen.
»Siehst aus wie er«, murmelt der Alte düster.
»Ich weiß«, sage ich.
»Mit wem hat er dich gemacht? Mit der Hippiebraut aus dem Norden oder der versnobbten, reichen Tussi hier aus München?«
Ich öffne erschrocken den Mund.
»Naja, ist ja auch egal«, brummt er und geht zurück in die Wohnung. »Komm rein, komm!«
Ich folge ihm. Am liebsten würde ich wieder gehen. Irgendwie glaube ich nicht, dass sich Pa jemals mit diesem Mann aussöhnen wird…
Ulrich Ziegler hat wohl nicht oft Besuch. Überhaupt scheint er selten mit Menschen in Kontakt zu kommen. In den Zimmern der Wohnung herrscht das Chaos einer jahrelangen Unordnung. Möbel, die weder zusammengehören, noch zusammenpassen, stehen dicht aneinander gedrängt an den Wänden. Eine dicke Staubschicht liegt über allem.
Der Alte führt mich in eine vollgestellte Küche, in der es nach Katzenfutter riecht.
»Setz dich!«, murrt er und deutet auf einen hölzernen Küchenstuhl. Ich räume die Zeitungen, die auf dem Stuhl liegen, beiseite und setze mich.
»Was willst du trinken?«, fragt er mich grob.
»Ist mir egal«, nuschle ich.
»Also Kaffee – gut, was anderes habe ich auch gar nicht im Haus.« Er wackelt zu einer fast schon antiken Kaffeemaschine, die inmitten eines Haufen schmutzigen Geschirrs steht.
»Erzähl!«, fordert er mich auf. »Was willst du hier? Um Geld kann es ja nicht gehen. Ich hab nämlich keins und Joachim ist doch ganz sicher reich, oder? Ein Bankfutzi – wollte er schon immer werden… reich und wichtig… viel wichtiger als sein alter Vater.«
»Pa arbeitet tatsächlich in einer Bank«, gebe ich leise zu.
»Siehst du.« Er lacht und zeigt seine falschen Zähne. »Da wird er ganz sicher glücklich sein. Hauptsache er hat mehr erreicht als ich.« Mein Großvater drückt mir eine Tasse in die
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